Hart wie Watte, weich wie Kruppstahl

Jesaja 50, 4-9 (Luther 2017) Br. Markus

 

„Wer Aluminium kennt, nimmt Stahl“ – diese Erkenntnis ist nicht von mir, sie stammt von einem renommierten Leiternfabrikant aus Metzingen. Hart oder weich – wir wissen, daß es Unterschiede gibt, bei Mensch und Material. Nun ist Kruppstahl ja nicht unbedingt weich und Watte nicht zwingend hart. Eigentlich müsste es „weich wie Watte“ und „hart wie Kruppstahl“ heißen. Theoretisch schon. Es geht aber nicht um Material im heutigen Predigttext. Watte ist entweder hart oder weich, Kruppstahl ist entweder hart oder weich. Jesaja ist hart und weich zugleich. Es geht um seine Lebenserfahrung an der Seite Gottes. Gott vereinseitigt den Menschen nicht. Darin unterscheidet sich Mensch-Sein vom Material-Sein. Es ist hart und weich zugleich.

„Hart wie Watte“ heißt, weich sein. „Weich wie Kruppstahl“ heißt hart sein. Beides zugleich bringt ein Leben an Gottes Seite. Es geht um die Wirkung Gottes, die mich festigt, wo ich wanke und aufweicht, wo ich verhärte – beides zugleich in einem Paket.

1.          Weil ich es besser weiß

Gott der Herr steht im Vordergrund. Gott gibt, hilft, öffnet. Die Trumpfkarte Jesajas ist Gott der Herr, das Wissen um eine Kraft, die größer ist, als die eigene. Wissen um Gott macht nicht zum Besserwisser, aber schon zu einem Menschen mit besserem Wissen. Wissen um Gott ist immer besseres Wissen, mindestens ein Prozent besser als alles, was ich weiß, gerade dann, wenn ich bemerke, dass ich eigentlich gar nichts weiß. Ich weiß nicht, woher der Wind weht. Ich weiß nicht, ob ich heute Abend gut einschlafen werde, was Schönes oder was Schlimmes träume, ob ich überhaupt schlafen kann oder morgen wieder aufwache. All das weiß ich nicht, nicht wirklich. Die Zukunft umgibt mich wie ein unbekanntes Land, das auf mich wartet, für mich bereit steht, das ich erleben und mitgestalten kann, je nach dem, ob ich Angst habe oder nicht. Ich weiß nicht, was Sie jetzt denken in diesem Augenblick oder ich nachher, wenn der Gottesdienst vorbei ist. All das weiß ich nicht. Was aber nicht heißt, dass es das nicht gibt. So vieles ist mir verborgen, meinem wachen Auge oder kritisch prüfenden Blick – was aber nicht heißt, dass es das nicht gibt. Jetzt, in diesem Augenblick, ereignen sich hunderttausende schöne und schlimme Dinge, ohne dass ich davon überhaupt etwas weiß. Es kann sein, dass morgen früh die reiche Erbtante aus Amerika auf mich wartet – oder der Insolvenzverwalter. Alles ist möglich. Gott will nur, dass ich weiß, dass er es besser weiß und dass es Möglichkeiten gibt, die ich nicht einmal träumen kann.

Es ist doch nichts ehrenrühriges, wenn wir zugeben, dass wir nicht alles wissen. Gott beschenkt den Menschen mit Wissen, mit Ahnung, mit Idee. Das Wissen um ihn ist immer zugleich Wissen um’s eigene Unwissen – zugleich aber besseres Wissen, weil es über den eigenen Horizont hinausgeht, in neue, ungeahnte Welten vordringt und vor allem sichtbare Veränderung schafft. Wissen um Gott ist immer aktives Wissen, das zuerst mich und dann die Welt verändert. Es schafft Bewegung in mir und um mich herum, weil es Wissen ist, das lebendig macht.

Wissen um Gott macht mich

2.                Weicher als ich

„Der Herr hat mir das Ohr geöffnet. Er weckt mir das Ohr, daß ich höre, wie Jünger hören. Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben …“

Gott macht mich hörfähig. Gott macht mich sprachfähig. Es geht also auch ohne What’s App. Wie ein Jünger hören und reden – eigentlich ist es ja nichts besonderes, könnte man meinen. Das ganze Menschsein besteht aus hören und reden, aus Mitteilung – beim einen mehr, beim anderen weniger. Wie ein Jünger hören ist aber eine andere Form des Lauschens. Wie ein Jünger reden eine andere Welt der Kommunikation. Es ist weicher als ich. Gott schenkt eine erweiterte Form des Hörens. Das merkt man dann, wenn man nicht mehr hören will, was der andere zu sagen hat, wenn die eigene Gewissheit so felsenfest geworden ist, dass sie mich betoniert, in Stein gehauen, gemeißelt für die Ewigkeit. In Stuttgart, München oder Dresden stehen immer so erhabene Reiterstatuen. König XY von hoch zu Ross – so erhaben, wie sie scheinen, so sprachlos sind sie, taub – müssen sie ja auch sein, sonst würde ihnen ja der Straßenverkehr auf’s Gemüt hauen. Es ist ja nicht lustig, 500 Jahre lang als Statue im Straßenverkehr zu stehen. Gott öffnet Ohren – allen, die wie Statuen im Straßenverkehr stehen, denen, die nix mehr mitkriegen von allem um sie herum. Gott will nicht den Lauschangriff, aber schon das Lauschen in den anderen hinein, das Lauschen auf das, was der andere sich nicht zu sagen traut, was in ihm rumort und keine Worte findet, sich nicht ohne fremde Hilfe äußern kann. Die Ohren von Jüngern sind Ohren für die stummen Schreie der Verzweiflung. Es sind Ohren für das ungesagte Leid. Es sind Ohren für sprachloses Entsetzen. Es sind Ohren für Worte, die an Sprachbarrieren scheitern. Die Ohren von Jüngern sind freigelegte Ohren ohne Ohrenschutz mit der Bereitschaft, auch unbequeme Wahrheit zu hören.

Wir freuen uns doch auch, wenn uns jemand zuhört, uns nur die Gelegenheit gibt, zu sagen, wo der Schuh drückt, den eigenen Standpunkt zu erklären. Gott hört. Er lauscht in Christus an unseren Herzen. Gott will in Christus unsere Herztöne hören – nicht das, was wir vorgeben zu sein. Mit Gott hören heißt, auf die Herztöne der Welt hören, das hören, was in dem anderen tickt, das hören, was Gott bewegt. Es ist weicher als ich, barmherziger, als ich sein kann, wenn Gottes Aufmerksamkeit mich weckt. Mit meiner Hörfähigkeit hängt mein Reden zusammen, das, was ich zu sagen habe, mit oder ohne Zutun anderer. Hörbereitschaft und Hörfähigkeit für Gott bringen mich nicht zwangsläufig in den Einklang mit mir und der Natur oder der Welt. Hörfähigkeit für Gott kann in extreme Schwierigkeiten bringen.

Noch schlimmer Rede für Gott. Christsein oder Glauben heißt hörfähig wie sprachfähig wie leidensfähig zu sein. Es ist nicht damit getan, nur Trostpflaster für die Welt zu sein. Jesajas Lebensaufgabe war es auch, Stimme des Widerstands, der Enttarnung sowie der Provokation zu sein. Die leise Stimme Gottes wurde in ihm zum lauten Schrei. Gottes Sprachrohr zu sein kann lebensgefährlich sein.

Deshalb bin ich zugleich

3.          Härter als ich

„Darum habe ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein …. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel … Laßt uns zusammen vortreten … Siehe, sie alle werden wie ein Kleid zerfallen, Motten werden sie fressen.“

Leider ist es eben nicht so, dass unser Gottesdienst eine heile Welt erzeugt, in der jeder nach Belieben kuscheln kann. Man muss nicht als Streithammel geboren sein. Leben mit Gott bringt den Konflikt. Harmonie mit Gott verursacht Streit – zwangsläufig. Hören auf Gott bringt Wunden. Hören auf Gott hinterlässt Narben. Es ist kein normaler Streit, sondern ein viel tieferer Konflikt, der besteht, so lange die Erde dreht. An Gottes Seite ist immer Streit, der Streit, der zwischen Licht und Dunkel ist und nie zu Ende geht. Deshalb ist die Gemeinschaft der Glaubenden immer eine Streitgemeinschaft, also kein Kuschelclub. Wer mit Christus geht, geht im unerklärlichen Hass der Dunkelheit. Dieser steinige Weg fühlt sich wie Karfreitag an – lebenslang. Etwas anderes zu erwarten oder zu versprechen wäre kein christusgeprägtes Programm.

Weil Gott ein Gott des Friedens ist, muss er nicht schwach sein. Er stellt sich der Dunkelheit radikal in den Weg. Das ist ein schmerzhaftes Programm. Es geht dabei nicht darum, sich selber fertig zu machen. Der Konflikt entsteht von ganz allein. An Gottes Seite muss man hart sein, härter als ich. Es braucht mehr als ein dickes Fell. Es gibt keinen Schutzanzug, der alles abhält und den man dann abstreifen kann. Christus tritt in den Riss. Das hinterlässt auch Risse an denen, die hinter ihm stehen, ihm nachfolgen und mitgehen. ER ist eben kein Gutelauneprogramm aus dem Fantasialand. Wer Gott ernst nimmt, wird zum ernsthaften Hindernis für die Dunkelheit. Das bedeutet Streit, fanatischen Hass – auch heute noch.

Wie sich das anfühlt, wird zum Beispiel in einem Brief deutlich, den wir vor zwei bis drei Jahren erhalten haben. Da heißt es „Wenn Ihr Christen sein wollt, bin ich der nächste Papst. Der Himmel will Euch nicht und die Hölle hat Angst, Ihr könntet das Kommando übernehmen. Eins ist sicher: Ich heize den Ofen der Hölle erst richtig an, dann braucht Ihr Euch nicht mehr warm anzuziehen. Die Vorbereitungen laufen schon.“ Der Verfasser des Briefs ist kürzlich überraschend verstorben.

Siehe, sie alle werden wie ein Kleid zerfallen, Motten werden sie fressen.“ heißt es bei Jesaja. Der Hass ist härter als ich. Da tut es gut zu wissen, dass es jemand gibt, der eben diesen Hass zu den Motten geschafft hat, gut zu wissen, dass es Christus gibt, der hart wie Watte und zugleich weich wie Kruppstahl macht. Amen.

 

 

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