-Br. Markus – Jeremia 1, 4-10
Ausreißen und einreißen – Zerstören und verderben – Bauen und pflanzen
Wer von uns wollte so einer sein? Als Gärtner weiß man, wovon man spricht, aber wie ein Lebenstraum hört es sich nicht an. Bauen und pflanzen wohl schon, aber zerstören und verderben – kann so was ein Auftrag, eine Bestimmung Gottes für mich sein? Passt das zu mir, meinem ganz persönlichen Traum, zu meinem Lebensplan, ein Zerstörer und Verderber, eine Ausreißerin und Einreißerin zu sein? Wohl kaum. „Ich könnte das nicht“ sagen die meisten – weil da auch Angst ist, Angst, so ganz anders sein zu müssen als ich gern wäre oder meine zu sein, Angst vor dem fremden, ganz anderen Plan für mein Leben. „Ich kann das nicht“ sagen viele und beenden da schon den Plan Gottes für ihr Leben, bevor er überhaupt angefangen hat.
Der Prophet Jeremia tickt anders, nicht nur ein bisschen. Er lässt sich auf das größte Abenteuer ein, das ein Leben zu bieten hat, auf eine Berufung durch Gott.
„Die wahre Kirche besteht in der Erwählung und Berufung durch Gott“ sagt Martin Luther (Tischreden).
1. Ich kann gemeint sein
Heutzutage erlebt man Berufungen ja eher nicht. Das liegt nicht daran, dass Gott nicht spricht, sondern daran, dass man ihn nicht hören will, lärmpegelüberdröhnt. Berufung braucht zuallererst ein offenes Ohr. Wer leise Bedingungen tief in sich stellt, muss sich nicht wundern, wenn Gott nicht spricht. Gottes Wort scheitert nicht an ihm, sondern an mir, an der Mauer in mir, an der Grenze meiner Vorstellungskraft. Berufung kann nur erleben, wer auf Berufungsbedingungen verzichtet. Wer die Stimme Gottes hören will, muss sich total befreien von allen persönlichen Voreingenommenheiten. Gott redet eher selten zu verspannten, verpeilten und verplanten Menschen. Er braucht ein offenes Ohr, einen Menschen, der für ihn bereit ist. Berufung ist ja nicht ein einmaliges Ereignis, das mich irgendwann trifft. Berufung ist ein Lebensprozess, der sich laufend ereignet, lebenslänglich. Ich kann gemeint sein, heute noch, heute wieder, schon wieder, trotzdem und überhaupt. Ich bin gemeint. Gott hat eine Idee für mich, einen schlauen Plan, wer ich bin oder sein könnte, was mein Job ist hier auf diesem Planet. ER meint mich, um mit mir, für mich und alle anderen einen Weg zu finden, der gut für mich ist und die Welt, die mich umgibt.
In Jeremia sieht Gott den Prophet. 25 Jahre alt ist er zum Zeitpunkt seiner Berufung. 25 – schüchtern, zurückhaltend, 650 vor Christus, als Sohn eines Priesters geboren. Man sagt, dass er sensibel sei. Die Berufung, die ihn trifft, passt nicht in sein Persönlichkeitsprofil, ist alles andere als bequem, also kein Traumjob bei Gott und Co. „Nur ein toter Prophet ist ein guter Prophet“ sagen die Machthaber dieser Zeit und meinen das auch so. Selten sterben Propheten zu dieser Zeit eines natürlichen Todes. Den Lebenslauf vieler Propheten ziert ein saftiges Vorstrafenregister mit regelmäßigen Knastaufenthalten. Neben der äußeren Gefahr durch den Staat ist da noch der Konkurrenzneid durch den Priesterstand. Freiberuflicher Prophet in Israel – das ist vergleichbar mit dem Sozialprestige eines Zeugen Jehovas oder abgemusterten RAF-Mitglieds.
Jeremia wird von Gott nicht zum Nichtstun berufen, sondern zu einem miesen, lebensgefährlichen Job. Völlig spaßbefreit scheint Gottes Idee für Jeremia. Die Berufung, die hier geschieht, ist eben keine Entrückungsgeschichte in eine bessere Welt, sondern es ist ein Ruf in den Konflikt mit dieser Welt und was in ihr so danebengeht – bretthart und gemein, mit aller Kraft, die zur Verfügung steht.
„Ich kann gemeint sein“ sagt Jeremia
2. Ich kann vertrauen
Sage nicht „Ich bin zu jung“, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende und predigen alles, was ich dir gebiete (…) Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.
Berufung ist Vertrauenssache zwischen mir und Gott. Es gibt keine Sicherheiten. Wer Sicherheit sucht, sucht vergebens. Gerade, wo felsenfeste Gewissheiten und unumstößliche Überzeugungen herrschen, ist umso mehr die Frage, wie viel lebendiges Gotteswort sich ereignet. Berufung lässt sich nicht planen wie ein VHS-Abendkurs. Es ist ein energiegeladenes Geschehen zwischen Gott und mir, geprägt durch Vertrauen. Vertrauen allein bestimmt die Tonart. Wer Zertifikate braucht, geht leer aus. Gott gibt sein Wort in den Mund eines Menschen. Er vertraut seine Botschaft Menschen an, die dafür überhaupt nicht qualifiziert sind. Jeremia ist nicht zertifiziert zum Diplomprophet, ist eher eine Wüstenblume als ein Beamter. Gott vertraut sich ihm an. Der Schritt Gottes auf mich zu ist wesentlich riskanter als meine Entscheidung auf Gott zu. Fest steht, dass es für keinen von beiden einfach ist. Es geschieht im Vertrauen allein.
Gott vertraut mir, also kann ich es wagen, ihm zu vertrauen. Was passiert, wenn ich ihm vertraue, und was nicht, ist immer Vertrauensrisiko. Deshalb kann auch der Glaube nie Sicherheit sein, weil ich, der Glaubende, höchst riskant für Gott bin. Nicht selten verunglückt der fromme Mensch an Gottes Seite. Nicht selten sind fromme Menschen enttäuschend vor Gott. Er geht das Risiko ein. Gott riskiert, sein Wort durch Menschen sprechen zu lassen, durch enttäuschende Typen. Das ist mindestens so riskant wie die Besteigung des Nanga Parbat. Es gelingt im Vertrauen allein, dass es ernsthaft geprüft, sorgfältig behandelt und mit Bedacht weitergegeben wird.
„Ich bin zu jung“ sagt Jeremia. Große Verantwortung lastet auf ihm. Wort Gottes zu predigen ist auch nicht wesentlich leichter geworden seit damals. Heute noch Last der Verantwortung – Wort für Wort. Berufung geschieht im Vertrauen. Gott vertraut mir eine Aufgabe an, nicht ich suche mir eine aus. Er kennt mich besser als ich mich. Es steht nirgends, dass die Lebensaufgabe, die Gott mir stellt, einfach, angenehm oder harmonisch ist. Gott fordert heraus, aber er überfordert nicht, er entfaltet, aber er überzieht nicht. Das kann sich streckenweise aber anders anfühlen. Gott vertraut mir, dass mein Vertrauen wachsen kann in dem Maß, in dem ich es wage zu vertrauen. Er hängt mich nicht hin, aber er mutet mir Schwierigkeiten zu, darauf vertrauend, dass ich es kann. Gottes Berufung ereignet sich immer im Schatten meiner Angst. Es ist nicht nur die Angst, zu jung zu sein. Es kann genauso die Angst sein, es nicht mehr zu schaffen, die Angst, zu wenig Zeit zu haben, die Angst, überfordert zu sein, zu wenig ausgebildet, begabt oder begütert zu sein, die Angst vor dem Scheitern, dem Verrat, oder ausgelacht, zu oft enttäuscht oder übervorteilt worden zu sein, die Angst, auf die falschen Leute gehört zu haben. Gottes Ruf ist immer begleitet von Angst. Das wird sich nie ändern. Er ist aber genauso eingebettet in Gottes Treueversprechen, lässt sich aber nur erfahren, wo man es wirklich riskiert, im Vertrauen wagt, im Vertrauen allein.
Gott wagt es mit mir. Den Mut hätte ich nicht gehabt. Es gibt also keinen Grund mehr für mich, es nicht mit ihm zu wagen. Auch wenn mir die passenden Worte fehlen, kann ich es wagen, Gottes Prophet zu sein, weil es nicht meine, sondern seine Worte sind, die ich übertragen soll. Für jede Berufung gilt das Prinzip des Vertrauens in Gott allein. Ich kann darauf vertrauen, dass Gottes Worte die richtigen sind, auch dann, wenn sie mich in Schwierigkeit bringen, wenn ich sein Bote bin.
Der Gott, der mich riskiert, vertraut auf mich, daß ich ihn so weit verstehen kann.
3. Ich kann dabei ich selber sein
Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
Gott hat für mich eine Idee, einen Plan, der sicher anders als meiner ist, was aber nicht heißt, dass er mich mir selbst entfremden wollte. Er will Beweglichkeit zwischen uns, zwischen Gott und mir. Er will meine Inspirationsquelle sein, frische Lebensidee. Im Vertrauen zwischen Gott und mir geht es nicht immer darum, was für mich wünschenswert ist oder nicht, sondern vor allem, wie Gott sich verwirklicht unter uns und durch uns. Das fordert mich heraus zur Beweglichkeit in Gott. In Christus beruft Gott zum Priestertum aller Gläubigen, zur Lebensaufgabe, die größer ist als mein eigener geistiger Wendekreis. Das fordert mich heraus, jeden Tag neu zu erlernen, was meine Berufung ist und was nicht. Lebendige Auseinandersetzung im Vertrauen – Christus befreit vom Zwang, mir selbst zu genügen. Ich genüge in Gott. Nicht meine, sondern seine Worte erlösen die Welt. Es genügt, wenn einer, der dazu beauftragt ist, diese Worte spricht. Jede Lebensentscheidung ist und bleibt Risiko. Berufung ist dementsprechend riskant, aber bereichert durch eine göttliche Garantie. Darin schlummert gewaltige Energie, gibt mir die Kraft, ganz neue Wege zu gehen, neu aufzubrechen oder woanders anzukommen oder auch zu verharren. Der Weg, den Gott in mir sieht, ist der größtmögliche Weg, den ein Mensch gehen kann, breiter noch als die Autobahn. Er steckt voller Dynamit des Lebens. Gott ruft über die Grenzen meiner Vorstellungskraft hinein in neue Welten und Horizonte.
Ich kann das sowieso nicht, aber ich kann mich bewegen lassen zu ihm. In Christus ist es weniger die Frage, ob und was ich kann als vielmehr die Frage, was Gott in mir bewegt. Ich kann alles, was Gott in mir sieht. Weil ich das kann, kann ich sogar predigen, wenn ich nicht dazu tauge (sieht man ja an mir).