Der kleine Unterschied macht´s

Text: Jak. 2, 1-5 (Luther 2017)

Was für die Raupe wie der Untergang der Welt aussieht, ist für den Schmetterling der Beginn seines Lebens. Ein Falschfahrer hört auf der Autobahn die Verkehrsnachrichten. Bei der Meldung, dass auf seiner Strecke ein Geisterfahrer unterwegs ist, wird er sich sagen: Warum einer, das sind ganz schön viele. Albert Einstein sagte: Es einfacher ein Atom, dieses winzigste aller Teile von Materie zu spalten, als die Vorurteile eines Menschen. Wir alle unterliegen durch unser begrenztes Denken, haarsträubender Fehleinschätzung. Je nach dem wo wir stehen, nehmen wir die Wirklichkeit um uns herum anders wahr. Wir urteilen aus unserer Sicht, ohne das Ganze zu sehen.

Jakobus will gegen diese Beschränkung angehen.

  1. So gleich

haltet den Glauben an Jesus Christus, frei von allem Ansehen der Person. 

Gott unterscheidet nicht. Am Anfang steht Gottes Ansehen der Person. Wo Gott Menschen anschaut sieht er nicht die Frau Müller oder den Herrn Huber, nicht den Herrn Prokurist oder die Klofrau, sondern sein Kind, in seiner individuellen Persönlichkeit. Ob artig oder ein Wildfang, er ist Vater und von Grund auf jedem zugeneigt. Da gibt’s nicht Papas Liebling und Mamas Herzblatt, sondern mein Eigentum. Der erste Blick Gottes, ist immer der liebevolle, und väterliche. In seinem Anschauen ist Gott immer gleich – regelrecht ungerecht. Gott ist ungerecht darin, dass er das Verschiedene mit größter Wertschätzung ansieht. Das Unterschiedliche wird gleich behandelt, indem alle Angenommene sind und so sein dürfen, wie sie sind. Ohne Leistung und ohne Ansehen der Person. Arm oder reich, prominent oder einfach, viel Beweger oder Genießer. Wo Menschen in Ämter und Funktionen einteilen und Hierarchien schaffen, steht bei Gott der Abt und der Novize auf der gleichen Ebene. Gott kennt keinen Standesdünkel. Seine Wirklichkeit ist größer als unser Interessensbezirk.

Die Theologen nennen es „Mütterliche Vaterschaft Gottes“ – weil Gott diese Welt liebt, wie eine Mutter ihr Kind liebt – total unsachlich, total emotional, total fixiert auf ihr Kind. Er lässt uns leben, obwohl wir so viel töten in Reden, Worten und Werken. Gott will gleiche Liebe für alle, egal ob jung, ob alt, ob arm oder reich, für Dich und mich, für uns hier drinnen wie für die da draußen. Gott sieht uns an wie wir sind. Er ist genau fixiert auf meine Eigenart. Wir brauchen vor ihm nichts darstellen, nichts aufblasen, nichts besser erscheinen lassen als es ist. Er macht keinen Unterschied. Bei Ihm gibt es keinen Plebs. Jeder ist gleich wertvoll. Da ist die höchste Akzeptanz, auch bei dem, wo wir und manchmal fragen: Was hast du dir bei dem Bruder oder der Schwester gedacht, als du die geschaffen hast?

  1. So trennend

Denn wenn in eure Versammlung ein Mann kommt mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es kommt aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, und ihr seht auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprecht zu ihm: Setz du dich hierher auf den guten Platz!, und sprecht zu dem Armen: Stell du dich dorthin!, oder: Setz dich unten zu meinen Füßen!, macht ihr dann nicht Unterschiede unter euch und urteilt mit bösen Gedanken? 

Wo Menschen urteilen, teilen sie etwas. Wo sie anfangen zu unterscheiden, fangen sie an zu scheiden. Der glaubende Mensch begibt sich dadurch aufs Glatteis. Wer mit höher oder nieder zu werten beginnt, untergräbt Gottes Liebe zur Individualität. Wer anfängt Unterschiede zu machen, nimmt sich das Recht heraus, sich über Gott zu stellen und seine eigene Wahrheit als absolut zu stellen. Im Unterscheiden scheidet er sich von dem, der keinen Unterschied macht. Das Unterscheiden von Gottes Vielfalt ist krank und macht krank. Wo wir anfangen mit unseren Maßstäben zu bewerten, werden die Sitzplätze in der Kirche nummeriert. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Damit stellt sich der Selbstgerechte über die Gerechtigkeit.

…urteilen mit bösen Gedanken.

Wo das Werten beginnt, findet Überhebung statt, und Miteinander geht kaputt. Jakobus sticht hier in eine ganz empfindliche Stelle, aller frommer Gemeinschaft. Wo Sympathie und Antipathie regiert, gibt es in einer geistlichen Gemeinschaft gute Schafe und schwarze Schafe. Wo Unterschiede gemacht werden, kann für solche, die sich nicht so gut darstellen oder wehren können, ein schmerzhafter Leidensweg beginnen. Bei einem überhöhten Amtsverständnis, kann eine Führungskraft Druck ausüben, die die Mitglieder in seelische Nöte stürzen kann. Ein wunder Punkt bis heute in vielen kirchlichen Strukturen. Da gibt es plötzlich Starke und Schwache, Macht Ausübende und Opfer. Viele Klöster leiden unter dem Phänomen, dass wenn eine Leitung einen Siegelring trägt, sie glaubt, dass diejenigen, die eine geringere Aufgabe haben, dadurch weniger wert sind und ausgenützt werden dürfen.

… urteilen mit bösen Gedanken.

Durch eine Funktion oder Stellung schleicht sich ein bewusstes oder unbewusstes mehr oder weniger ein, dass jedoch schreckliche Auswirkungen auf ein Miteinander hat. Auf allen Ebenen urteilen wir und geben aus unserem Vermögen heraus dem einen Vorrang, anderes wird verdammt. Da wird kräftig sortiert in fromm und nicht so fromm; in hochliturgischen, theologisch satten und unterhaltsamen, freien Gottesdienst. Kirchenmusik wird eingeteilt in Orgel oder Schlagzeug, in klassischen Gesang oder Pop-Oratorium. Wo Unterschiede gemacht werden, haben wir die Grundlage verlassen, dass jeder in seiner Einzigartigkeit sein darf. Gott kennt die Klassifizierung nicht, die wir vornehmen. Für ihn ist das schwächste Mitglied, genauso viel wert, wie der prominente Pfarrer, Priester oder Kirchenvorsteher. Wo wir uns durch irgendwelche äußerlichen Vorzüge blenden lassen, holt uns Gott auf den Boden seiner Tatsachen zurück.

  1. So verbindend

Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben? 

Es ist immer faszinierend, wie Gott sein Team zusammenstellt. Ganz im Gegensatz zu uns, schaut er nicht auf Glanz und Glimmer, nicht auf große, eindrucksvolle Worte, nicht auf das, was viel oder wenig her macht. Gemeinschaft entsteht mit denen, die nichts zu bringen haben, die das sind, was sie sind. Weg von allen Äußerlichkeiten spielen für ihn zwei völlig immaterielle Eigenschaften, das Auswahlkriterium für die Ecclesia, für die Kirche Jesu Christi. Ihn lieben und reich an Glauben. Ein Funken Zuneigung und ein bisschen Vertrauen ist alles, was zu einer Gemeinschaft beiträgt. Mit Glauben und Liebe wird Kirche gebaut. Das wählt Gott für sein Miteinander. Darauf liegt die ganze Verheißung des Gottes Reiches. Gemeinschaft wird daher mit Werten aufgebaut, die der Mensch gar nicht von selbst aufbringt. Alles was der Mensch ist und hat, was ihn ausmacht und was ihm fehlt, spielt gar keine Rolle. Er wählt die Armen, genau die Leeren, die Offenen, in denen er sich verwirklichen kann. Mit den Gaben, die von ihm kommen, will Gott selbst, das Miteinander gestalten und bereichern. Gemeinschaft kann nur funktionieren, wo der urteilende Mensch, sich Gottes Urteil über sich zu eigen macht. Damit Glaube und Liebe werden kann, muss ich die Gnade an mir zulassen.

Gott wählt die Christus-Bedürftigen. Darin besteht der kleine Unterschied, zu dem, wie Menschen wählen und urteilen. Durch die Christus-Bedürftigkeit rücken wir wieder in den Verwandtschaftsgrad der Kinder Gottes. Das ist das Ende der Schauspielerei, alles sich über andere erheben und alles verdammen. Glaube und Liebe lässt eine Gemeinschaft entstehen, gerade und trotz Fehler, Versagen und Unterschiede.

Gott lieben macht den kleinen Unterschied, dass Liebe zum Nächsten möglich wird. Da finden die Armen, die Unperfekten, die schuldig Gewordenen zusammen. Wo die Armen erwählt sind, darf ich der sein der ich bin, ohne dass von einer Gemeinschaft eine zwanghafte Dauerkorrektur stattfinden muss, weil ich nicht gut genug bin. Wer arm ist, jedoch lieben kann, baut Brücken über Schuld und Unterschiede. Wir schießen zu kurz, wo wir unsere Wahl, unsere Kriterien, oder unsere Ausgrenzung der Wahl Gottes entgegenstellen. Gott liebt die versöhnte Vielfalt und hat dazu das mächtigste Handwerkszeug, – Liebe und Glaube.

Christliche Gemeinschaft ist nie am Ende, wo sich das menschliche Urteil, durch den Glauben überwinden lässt. Wir überwinden uns selbst, wo wir das große Ganze über unserer kleinen Welt zulassen.

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