Richtig christlich streiten

Sprüche 9, 7-9

Wer einen Spötter ermahnt, erntet nichts als Verachtung, und wer einen gottlosen Menschen tadelt, wird von ihm gemieden. Darum weise nie einen Spötter zurecht, sonst hasst er dich. Ermahne lieber einen verständigen Menschen, denn er wird dich dafür lieben. Unterweise den Klugen, und er wird noch klüger. Belehre den, der Gott gehorcht, und er wird immer mehr dazulernen.

Als Einsiedler hat man das Problem nicht. Wer mit sich allein im Wald lebt, hat einen entscheidenden Vorteil: Es gibt keinen, der anderer Meinung ist. Wenn ich mit mir allein bin, kann ich immer meiner Meinung sein. Ein tolles Erlebnis, es sei denn, ich hätte zwei Seelen, ach, in einer Brust. Streit entsteht immer dann, wenn mehr als einer im Raum ist, eine andere, eine fremde, eine unbekannte, große Meinung auf mich zukommt. Dann bin ich gefragt, zur Auseinandersetzung anzutreten, mich in Frage stellen zu lassen oder andere in Frage zu stellen. Kein angenehmer oder bequemer Weg, wesentlich unbequemer, als Konflikte totzulächeln, totzuschweigen oder harmonisch zu überdröhnen. Der christliche Weg zum Frieden führt über die anstrengende Auseinandersetzung mit dem anders Denkenden. Es geschieht nicht durch Kreuzzüge, Verleumdungskampagnen oder Messerstechereien, sondern anders. Wir sind weder Friede-Freude-Eierkuchen-Apostel, noch Folterknechte im Namen des Herrn. Wir lächeln oder schießen niemanden tot, wir setzen uns mit ihm auseinander, indem wir richtig christlich streiten.

1. Mimosen und Giftzwerge eignen sich nicht

Weise nie einen Spötter zurecht, sonst hasst er dich.

Wer sich richtig christlich streiten muss, dem muss klar sein, dass es Menschen gibt, mit denen so eine Auseinandersetzung nicht stattfinden kann. Es ist kein ausdrückliches Streitverbot, aber ein guter Rat, nicht mit jedem zu streiten. Der Spötter – andere Übersetzungen nennen ihn „Frevler, gottlos oder den Unbelehrbaren“ – im weiteren Textumfeld auch „Frau Torheit“ genannt. Die christliche Pflicht zur Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Gegenüber, somit auch der Frage nach dem Ziel der Auseinandersetzung. „Unbelehrbar“ – hoffnungslose Fälle gibt es bei Gott nicht, aber es gibt Menschen, mit denen eine Auseinandersetzung schnell zum Kleinkrieg wird, und da ist eine andere Herangehensweise gefragt. Es geht um Mimosen und Giftzwerge. Bei einer Mimose merkt man’s gleich: Sobald man ihre Blätter auch nur sanft berührt, rollt sie sofort alle Blätter ein und macht dicht. Mimosen sehen sogar Streicheleinheiten als Angriff auf ihre Person und riegeln ab. Da kann man nichts machen, da nützen gute und böse Worte nichts. Mimosen sind lieber mit sich selbst allein – und da kann ein Streit genau das Falsche sein – jedenfalls nicht der geeignete Weg, um einen Schritt vorwärts zu kommen.

Schwieriger wird es mit Giftzwergen. So manch einer, der als Schneewittchen daherkommt, ist tief in sich drin ein Giftzwerg oder eine Giftzwergin, hübsch lackiert, voll guter Umgangsformen, aber äußerst hinterhältig. Es geht die Rede von „toxischen Menschen“ – Menschen, die anderen das Dasein vergiften, verbohrt, uninformiert, uneinsichtig, unbelehrbar. Der Unbelehrbare weiß sich im Recht – die anderen haben Unrecht. Unbelehrbare überschreiten Grenzen. Sie mischen sich in die Angelegenheiten anderer rücksichtslos ein. Unbelehrbare haben stille Erwartungen an andere, die nicht ausgesprochen werden. Hält man sie nicht ein, wird man dafür bestraft. Unbelehrbare lügen, um ihre Interessen durchzusetzen, intrigieren und verleumden. Sie streuen Gerüchte, verschweigen wichtige Einzelheiten, nur um selber an’s Ziel zu kommen. Unbelehrbare sind oft eifersüchtig, nehmen selten Rücksicht, wollen eher selten was zurückgeben  und so weiter und so fort.

Giftzwerge, Spötter, Frevler – hier hat ein Streitgespräch keinen Sinn, weil es keine Veränderung bewirkt, im Gegenteil Hass erzeugt. Auseinandersetzung im christlichen Sinn hat aber immer das Ziel, zu einer Veränderung zu führen, in die richtige Richtung. Wenn aber Hass entsteht, ist dieses Ziel verfehlt, der Streit kein Streit mehr, sondern Zickenzoff.

Genau das soll nicht sein, sonst hätten wir

2. Zickenzoff statt Streit

Christlichen Zickenzoff gibt es nicht. Bei jedem Streitgespräch ist die Gefahr, dass es zum Zoff wird, Ermahnung, die danebengeht, zum Kleinkrieg – oder ganz entgleist. Aus Angst davor kann man auf die Auseinandersetzung ganz verzichten, man verzichtet aber dann auf ein wichtiges Stück Miteinander, genau genommen auf die Zukunft.

Ermahne lieber einen verständigen Menschen, er wird dich dafür lieben.“

Ermahnen, rügen, züchtigen, tadeln und bestrafen – streiten sollen wir mit verständigen Menschen. Eine Friede-Freude-Eierkuchen-Kultur würde die Probleme der Welt nicht lösen. Das ist in der Kirche nicht anders, als in der Welt. Verzichtet man auf die offene Auseinandersetzung, findet sie unterschwellig statt, Grabenkrieg im Stillen. Man kann dann nicht vom Frieden reden, wenn stille Grabenkriege toben, ungelöste Konflikte im Raum sind. Es ist nicht der Friede Gottes, wenn keiner sich mehr was zu sagen traut. Auch wenn der andere lächelt, ist es kein Friede, wenn ein ungelöstes Problem im Dunklen schlummert. Friede ist erst dann, wenn auch die stillen Konflikte beseitigt sind, und die lassen sich nur durch Auseinandersetzung überwinden. In jedem Menschen schlummert ein kleiner Giftzwerg. In jedem von uns schlummern stille Erwartungen, die an den anderen gestellt werden. In jedem von uns ist ein Stück Unbelehrbarkeit. Wo das alles im Dunkeln bleibt, bleibt es, wie es ist, selbst da, wo wir gemeinsam einen Zehnerpack Choräle singen, gemeinsam beten, feiern, fasten.

Christliche Gemeinde, Gemeinschaft der Glaubenden, will aber wesentlich mehr sein: echtes Miteinander. Das macht den Streit notwendig, damit er christlicher Streit ist. Echtes Bemühen um den anderen, gerade dann, wenn dieser Vollpfosten nicht in mein Bild passt, das ich ganz im Stillen von ihm habe. Christliche Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie vom gegenseitigen Kümmern und Ermahnen geprägt ist, also christliche Streitkultur hat. Die Ermahnung des Verständigen ist unverzichtbares Gestaltungswerkzeug des Glaubens, nicht aus Besserwisser- oder Besserfühlerei, als vielmehr aus dem Ringen um den wirklich richtigen Weg. Wo die Friede-Freude-Eierkuchen-Kultur mit der richtig christlichen Streitkultur verwechselt wird, entsteht religiöse Fata Morgana, Scheinharmonie, die es nicht wirklich gibt. Zum Frieden in Gottes Sinn kann man nur finden, wo alle Stimmen gehört worden sind, was aber nie bedeuten kann, dass alle immer einer Meinung sind.

Das macht die Sache spannend, aber auch anstrengend. Der Streit mit dem Verständigen hat eine große Kraft. So anstrengend, wie er ist, so große Möglichkeiten liegen drin – anders, als beim Zickenzoff. Wenn es nur darum geht, dem anderen zu beweisen, wer der Bessere ist, geht’s in die Hose. Es geht um das gemeinsame Ziel. Der Streit ist dann ein christlicher Streit, wenn das gemeinsame Ziel dasselbe ist. Deshalb muss vor jeder richtig christliche Auseinandersetzung geklärt sein, ob man um das gleiche Ziel streitet. Wenn nicht, muss man zuerst klären, um welches Ziel man streiten will, sonst entgleist die Auseinandersetzung zum Zickenzoff.

Einfacher ist es, so zu tun, als wäre man einer Meinung. Besser ist es, mal aus der Deckung zu gehen und die Sichtweise des anderen auszuhalten. Es ist nicht damit getan, die eigene Meinung möglichst unfiltriert und laut in die Prärie zu krähen. Viel wichtiger ist, erst mal hinzuhören, was der oder die anderen jeweils zu sagen haben. Wo das gelingt, können ungeahnte neue Wege entstehen, wo es misslingt, herrscht Zickenzoff. Die Kunst ist, auch damit zu leben, dass es mal daneben geht, und es trotzdem wieder zu versuchen. Schlimmer als der Konflikt ist nur der ungelöste Konflikt, der ist unsterblich. Er lebt genau so lange, wie man vermeidet, ihn zu lösen.

3. Das gemeinsame Ziel entscheidet

Weise nie einen Spötter zurecht, ermahne lieber einen verständigen Menschen.

Wenn du deinen Bruder sündigen siehst, weise ihn zurecht, heißt es im Neuen Testament. Der rote Faden, der sich durch die Bibel zieht, ist klar auf Christus ausgerichtet. Wo Christus das Ziel ist, geht es nicht darum, sich gegenseitig niederzumähen, sondern miteinander zu gestalten, miteinander aufzustehen. Gemeinsam zu leben statt aneinander zugrunde zu gehen – so heißt das Ziel des Neuen Testaments. Christus ist das Leben. Dieses gemeinsame Leben kommt nicht über Nacht aus dem Überraschungsei, sondern reift beständig heran, ist beständige Auseinandersetzung mit allem, was eher nach Sterben aussieht. Das eine vom anderen zu unterscheiden, ist die wahre Schwierigkeit – wer unbelehrbar ist und wer nicht.

Ich habe noch nie einen Streit erlebt, bei dem eine Partei der Überzeugung war, den falschen Standpunkt zu vertreten. Es gut zu meinen bedeutet aber noch lange nicht, es richtig zu machen. Wo Christus das Ziel ist, löst sich dieses Problem auch nicht von selbst – im Gegenteil. Wo Christus das Ziel ist, soll das Ziel aber gemeinsam und nicht im Alleingang erreicht werden. Das beinhaltet die anstrengende Aufgabe, sich mit dem anstrengenden anderen auseinanderzusetzen. Gerade da, wo der andere in die falsche Richtung läuft, ist umso mehr Einspruch von uns gefordert. Wo aber unser Einspruch ständig auf taube Ohren stößt, redet die Bibel von Torheit. „Beratungsresistent“ würde man heute sagen. Man kann den anderen ja auch nicht vor sich selber schützen. Wenn Christus das gemeinsame Ziel ist, herrscht das gemeinsame Bewusstsein, sich verändern zu müssen, in Bewegung zu bleiben. Dort ist es wichtig, richtig christlich zu streiten.

Wo das nicht der Fall ist, ist es besser, darauf zu verzichten, weil religiöser Zickenzoff nur Hass erzeugt. In Christus entscheidet sich, was jeweils richtig christlich ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert