Einmal der Größte sein

– Br. Markus – Matthäus 20, 26-28

Heutzutage ist es nur eine Doping-Frage. Wer besser ist, als ich, ist sowieso gedopt – klarer Fall. Die großen Rennen werden von Sportmedizinern gewonnen. Sieger ist, wer die richtige Zahnpasta nimmt – nicht nur im Radsport. Deutschland sucht den Superstar – und so alt wie die Menschheit ist die Frage nach dem oder der Besten seiner Art. „Wer ist der beste Christ?“ fragt der heutige Predigttext – der Größte unter uns, der, der auf dem Treppchen steht, mit oder ohne Freudentränen oder dem goldenen Pokal unterm Arm. Christus verblüfft mit seiner Antwort. Der größte Christ ist der „zu Tische Dienende“, wie es wörtlich übersetzt heißt.

1. Ganz oben unten sein

Wer groß sein will, der soll den anderen dienen, und wer der Erste sein will, der soll sich allen unterordnen.

Christus stellt sich in den Kontrast zu Welt. Er durchbricht mit seinen Vorstellungen das Gesetz der Evolution. Nicht der, der besser, schneller oder stärker ist, nicht der, der was bewegt und vorneweg geht nicht der, der sein Leben mit großen Augenblicken bereichert, nicht der, der etwas Bleibendes hinterlässt sondern ganz, ganz anders. „Dienen“ und „Dienst“ heißen die zwei Worte, die fett und schwer den Weg nach ganz oben blockieren oder öffnen. „Dienen“ und „Dienst“ – so altbacken wie ungemütlich. „Dienen“ und „Dienst“ so bitter, wie Alltagsfrust – dabei die Angst, dass einem die Decke auf den Kopf fällt. „Dienen“ und „Dienst“ – schlimmer als Aschenputtel oder Hausfrauendasein. „Dienen“ und „Dienst“ – ohne mit dabei zu sein, wenn vorne die Post abgeht. Schon klar, dass Gottes Reich nicht von dieser Welt ist. Zu anspruchsvoll scheinen die göttlichen Wertvorstellungen, als dass man sich daran gewöhnen könnte.

In Christus werden die Werte der sichtbaren Welt auf den Kopf gestellt – was jetzt nicht heißt, dass man voll einen auf Sklave machen soll, obwohl Paulus an anderer Stelle durchaus von einer Art Sklaverei spricht. Es geht um den wahren Gottesdienst – nicht so, wie Pizzaservice, wo man bestellt und einer was bringt. Es geht um den Dienst Gottes an uns und unseren Dienst an Gott. Gottes Dienst ereignet sich zuerst an uns. Christus lebt und stirbt nicht als Forderung an die Welt, sondern als Geschenk für die Welt. In Christus verkauft sich Gott weit unter Wert – gratis sozusagen.

Ist doch eindeutig zu billig – oder nicht? Christus stirbt auf Golgatha umsonst, ohne, dass er was davon hat. Das würde heutzutage keiner so machen. Nicht gerade ein Traumjob, das Ganze. Für uns heißt das Zauberwort, die göttliche Motivation. Für mich, für Euch und alle, die das nachvollziehen können.
Christus für uns als Lebensauftrag.
Christus für uns als Karriereplan.
Christus für uns in Gewinnbeteiligung.
Christus für uns als Verlustrechnung.
Christus dient uns auf der untersten Stufe, sein Leben, damit wir leben.

Gottes Dienst an mir ist eine Leistung, für die ich keine Rechnung schreiben kann, die unbezahlbar ist und bleibt, die mich befreit vom Schatten des Bösen, der über mir lastet. Es ist die größte Freiheit, die ein Mensch erreichen kann. Wir kriegen sie für low. Wäre Gott ein moderner Großkonzern, wäre die Eintrittskarte nach Gethsemane nicht unter 50.000.- zu haben. Das ist kein Witz. Es gibt große Modekonzerne, die verlangen solche Preise allein für Insider- Modeschauen. Den Schatten des Bösen zu verlieren, frei von mir selber zu sein, ist ein hoher Wert, den Gott schenkt. Die Betonung liegt auf „gratis“ , also weit unter Wert – was nicht wertlos heißt. Diese Aktion Gottes ist und soll für die gesamte Kirche ein Leitbild sein. „Sich verschenken“ heißt die Devise, und das klingt ganz anders, als „sich verkaufen“.

Ist wesentlich mehr wert!

Es hilft mir

2. Ganz vorne hinten zu stehen

Es geht um ein unbezahlbares Miteinander zwischen Gott und Mensch. Nur wer was hat, kann auch was geben. Nur wer befreit ist, kann Freiheit schenken. Nur wer geliebt ist, kann auch lieben. Ein ungetanktes Auto läuft nicht. Gottes Dienst an mir macht mich überhaupt erst fähig, selber zu dienen. Im Gottesdienst wird genau genommen überhaupt nicht mehr geherrscht, sondern nur noch gedient. Das ist das wirklich Spannende daran, dass es keinen mehr gibt, der Ansagen macht.

Nicht von dieser Welt – wie schon gesagt. Keiner herrscht mehr, alle dienen sich, aus dem Impuls Gottes heraus, der so eine verrückte Lebensart überhaupt erst möglich macht. Es sollen nicht die Kleinkarierten sein, um die man sich streitet, sondern die kleinen Zeichen der Zuneigung, mit denen man sich erfreut. Zu schön fast, um wahr zu sein. Die Idee Gottes ist völlig frei vom kleingeistigen Kassierdenken. Sie ist so frei, sich zu verschenken, allein zu verschenken, sonst gar nicht.

Unser christliches Denken soll frei sein davon: Was es bringt, ob es lohnt, ob man nicht drauflegen muss oder zu kurz kommt. Wer vom Schatten befreit ist, weiß, dass es viel mehr ist, als man je bezahlen könnte, was Gott bringt – bringt und nicht nimmt.

Gottesdienst mit Rechenschieber geht nicht. Es braucht Freiheit, zu schenken und zu genießen.

Der Theologe Voigt sagt: „Der reife Glaube müsste den Willen Gottes bejahen können, selbst wenn Gott das eigene Glück vernichtet. Erst dann wäre ich darüber hinaus, Gott zum Mittel für meine Zwecke zu erniedrigen.“

Gott ist nicht Mittel zum Zweck und ich bin nicht Mittel zum Zweck. Es läuft nicht auf der Basis der Berechnung. Christen sind nicht Religionsfunktionäre. Zwänge nützen wenig. Es geht um die freie Entfaltung der Sympathie Gottes. Christus dient nicht nur, weil es geschrieben steht, sondern weil seine Liebe seinen Gottesdienst prägt. Das ist das Fundament, auf dem das Ganze steht, die Tradition der Zuneigung, die er gründet. Jeder Gottesdienst ohne diese Zuneigung wäre eine Selbstüberforderung. Es soll auch keine religiöse Mitmenschlichkeit sein oder so eine Art Almosenausschüttung an den anderen. Gott gibt sich ganz. Deshalb soll unser Dienst immer ganz geschehen, auch wenn er nicht gleich den riesigen Spaßfaktor bringt. Es geht um echte Überzeugung, aus der heraus der Dienst geschieht, selbst dann, wenn es nur Kleinigkeiten sind, die es zu tun gibt. Schon ein ganz kleines Lächeln kann große Wirkung zeigen, wenn es von Herzen kommt.

Die Passionszeit ist keine rosige Zeit, der Weg ans Kreuz ein steiniger Weg. Christus geht auf staubiger Straße. Jeder Schritt, den er geht, ist wie ein mühsames Erlernen von Gehorsam. „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ sind einige seiner letzten Worte. Es steht nirgends geschrieben, dass überschwängliche Dankbarkeit auf uns wartet. Hinten in der Schlange stehen, nervt. Warten strengt an, warten, dass sich was bewegt, warten, dass man drankommt, wenigstens irgendwann. Wer der Größte sein will, stelle sich hinten an, gehe mit auf dem steinigen Weg. Es geht nicht um ein neues Kirchengesetz zur Versklavung der Frommen, sondern ganz schlicht um Dienstbereitschaft zum Priestertum aller Gläubigen, zur Diakonie der von Gott berührten Menschen. Darin gelingt es, in Gottes Sinn

3. Als Erster der Letzte zu sein

Es ist doch schön, wenn man keinen so hohen Erwartungsdruck hat. Unser Gottesdienst kann niemand beeindrucken und muss niemand beeindrucken. Er geschieht nicht aus mir heraus. Es geht nicht um die besten Plätze im Himmel oder auch auf Erden, es geht darum, sich ansprechen zu lassen, um ein offenes Ohr und ein offenes Auge. Wer anderen eine Freude machen will, fragt nicht zuallererst nach dem Preis. Hätte Christus gefragt, was es bringt und ob es lohnt am Kreuz, wer weiß, wie das ausgegangen wäre.

Als Erster der Letzte zu sein gelingt nicht, wenn man Angst um sich hat. Es ist so verrückt, wie der Glaube selbst. Golgatha – es kann sogar voll der Nachteil sein im Augenblick wo es geschieht. Immer, wenn ich etwas verschenke, hab ich danach etwas weniger – mathematisch gesehen jedenfalls, und es kommt auch nicht immer was zurück, wenn ich was verschenke. Das ist nun einmal so. Es ist die bahnbrechende Erkenntnis Luthers, dass kein Mensch Punkte sammeln kann – egal, wie einer lebt, also sowieso hinten in der Schlange steht.

Die Sünde der Welt ist und bleibt das Allerletzte. Somit ist jeder von uns sowieso der oder die Allerletzte. Ausgenommen ist nur Christus, der hinter  uns steht und dort bis ans Ende der Tage stehen bleibt. Sosehr wir uns auch anstrengen, sind wir nie der Letzte. Hinter uns steht noch einer, der das Licht ausmacht und die Tür zu. Dass Christus hinter uns steht, ist das, was uns Kraft gibt für unseren Dienst, unsere Diakonie, unser Priestertum. Es gibt einen, der als Erster der Letzte war und immer der Letzte bleibt. Seine Auferstehung hat uns erlöst.

Christus macht frei. Christus erlöst vom Zwang, ganz groß rauskommen zu müssen, in der ersten Reihe zu sitzen und dabei zu sein, wenn die Post abgeht. Christus hat die Welt erlöst. Wenn man’s genau überlegt, sind wir genau dadurch die Größten – auf immer und ewig.

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