Jesaja 12, 1-6
Was für einen Wochentag haben wir heute? Ich geb’ Ihnen mal `nen kleinen Tipp: Samstag isses nich. Da wär ich nämlich jetzt auf dem Markt. Na – ? Die Glocken läuten, klingelt da was? Klar, wir wissen`s alle. Manche Fragen sind einfach einfach zu beantworten.
Probieren wir also gleich mal eine richtig schwierige: Empfinden Sie Lebenslust – heute morgen, am Sonntag, hier, jetzt? Wenn nicht der Stress mit den Nachbarn, die nervige Tante oder der Zahnarzt wären, dann vielleicht …
Aber so gefragt …
Lebenslust – was ist denn das? Manchmal ist es eben nicht so einfach, die richtige Antwort zu finden oder zu geben. Denken wir ruhig in aller Ruhe nach.
Es geht um die richtige Antwort, unsere Antwort, die Antwort der christlichen Kirche auf Gott selbst – heute, am Sonntag, und weit darüber hinaus.
1. Über den Augenblick hinaus
Gesucht wird ein Wort mit fünf Buchstaben. Raten Sie mit. Der Hauptgewinn ist ein Spaziergang an der frischen Luft mit mir. Ist doch immerhin besser als so ne billige Sammeltasse aus China. Es geht um mehr. Es sind nur fünf Buchstaben, aus denen das kleine Wort besteht, das die Welt verändert: D-A-N-K-E
Ein ganz einfaches Wort, eine Floskel fast, die man artig sagt, wenn man was geschenkt gekriegt hat. An einem durchschnittlichen Samstag bedanke ich mich mindestens fünfhundertmal – bei jedem Kunden, der bei uns was gekauft hat. So gehört sich das. Bin ich ihm auch wirklich dankbar deshalb? Danke sagen und dankbar sein gehört ja eigentlich zusammen. Dadurch, dass wir auf`s Bedanken dressiert sind, geht uns dadurch da und dort die echte, die wirkliche Dankbarkeit verloren. Durch`s Danke sagen müssen schwindet das Danke sagen können. Tief in mir drin bin ich doch eher ein Nörgler, ein Zweifler, ein Haar-in-in-der-Suppe-Sucher, ein leicht unzufriedener, undankbarer Typ. Ich hätt es gerne leichter gehabt im Leben, und überhaupt: mehr Spaß, mehr Geld, mehr Glück. Dankbarkeit ist nicht mein Ding. Das Leben schenkt einem ja nix. Im Lotto hab ich auch noch nicht gewonnen. Da wundert es einen doch nicht, dass ich eher voller Sehnsucht als voller Dankbarkeit bin – im Augenblick.
Die Dankbarkeit gegen Gott läuft immer gegen meine natürliche, menschliche Undankbarkeit. Sie überfordert mich in diesem Augenblick – gestern schon und heute noch. Es ist ein unglaublich anstrengend weiter Weg, weg von mir selbst, hin zu jener ganz anderen Lebenseinstellung, die eigentlich selbstverständlich sein sollte. Es geht aber bei Gott nicht um andressierte Artigkeit, sondern vielmehr um echte Überzeugung. Überzeugung kann nur da wachsen, wo ich sie wachsen lasse – Dankbarkeit, die mehr ist als ein Lippenbekenntnis, die tief in mir meine eigentliche Überzeugung darstellt. Es ist schön, dass der Einzelne sich seine Gedanken macht und kraft seiner Gedanken dankbar wird für dies und das, was der andere am anderen Ende der Welt eher weniger hat. Echte Dankbarkeit ist aber mehr.
Dankbarkeit für Gott ist eine Herzensangelegenheit. Es geht darum, diese Dankbarkeit zu empfinden, zu spüren, wie erste Sonnenstrahlen auf der Haut – Dankbarkeit, die man nur dort hat, wo Gott uns berührt. Leider kann man diese Dankbarkeit nicht immer sofort gewinnen, weil in dem Augenblick, in dem Glück geschieht, ich es nicht als solches erkennen kann. Ich treffe häufig Menschen, die mir sagen, dass sie ihr Glück erst sehen konnten, als es nicht mehr vorhanden war – und sei es nur so etwas Schlichtes wie die eigene Gesundheit gewesen. Gerade im Glauben wächst die echte Dankbarkeit, auch aus Besinnung, der Erinnerung an das, was Gott bereits getan hat, natürlich heute tut und morgen tun wird. Den Glücksfaktor Montag kenne ich aber noch nicht, und so ist es kein Raub, aus der Erinnerung an Gottes Güte von gestern und vorgestern zu leben. Echte Dankbarkeit reicht über den Augenblick hinaus, aber nicht nur.
Das reicht auch
2. Über mich selbst hinaus
Ich kann nur wirklich dankbar sein für das, was ich als Glück, das mir geschieht, erkenne. Wenn mir einer ein Eis schenkt, ist der Fall klar. Der Zorn Gottes gehört eher nicht dazu. „Dich will ich loben, o Herr! Du warst zornig auf mich, doch dein Zorn hat sich gelegt, und du hast mich wieder getröstet. Das Dankeslied des Jesaja ist ein viel tiefgründigeres Lied. Dankbar für den Zorn Gottes kann nur sein, wer sich wirklich mit ihm auseinandersetzt. Es geht um eine Lebenseinstellung, die ganz anders ist, als meine persönliche Befindlichkeit im Augenblick. Dankbar gegen Gott kann eben auch dort sein, und gerade dort, wo das Schicksal hart zuschlägt – eben, weil echte Dankbarkeit keine religiöse Selbsttäuschung ist, sondern wache Auseinandersetzung mit mir selbst. Wer mit Gott geht, dem geht`s manchmal auch grottenschlecht, und es bleibt nicht dabei, das nur zu akzeptieren, sondern auch noch dafür dankbar zu sein. Echte Dankbarkeit, wo Gott chirurgisch in mein Leben eingreift, wenn ich über den Stolperstein gefallen bin und mir die tiefe Narbe geholt habe. Würde ich Gott nur da lieben, wo er mir gut getan hat, wäre er bestenfalls mein Sklave. Er ist aber meine Zukunft, und das fordert mich heraus. Die echte Dankbarkeit ist immer eine Überforderung meiner selbst, meiner möglicherweise zu geringen Glaubenskapazität.
Begegnung mit Gott fordert heraus. Nur wer sich herausfordern lässt, kann darin überstehen. Nur durch die Herausforderung im Glauben gelingt es, zu begreifen, dass auch der Zorn Gottes notwendig ist, der Zorn Gottes über Leute wie mich, dass ich nicht ausknipsen kann und anhören muss, was ER mir zu sagen hat.
Der Theologe Voigt sagt: „Ich muss dem zürnenden Gott gegen mich selbst recht geben.“
Eine anspruchsvolle Lebensaufgabe. Genau darin liegt aber auch der Augenblick echter Dankbarkeit, in der es gelingt, zu entdecken, wer Gott wirklich ist: eben kein Monster. Die Barmherzigkeit Gottes ist größer als ich, größer, als meine Schuld, größer als mein Versagen, größer als meine Angst. Gott reicht weit über mich hinaus, über alles, was ich mir vorstellen oder denken kann. Gott handelt an mir, schön und schmerzhaft zugleich. Er handelt aber nicht nur an mir.
Ich bin nicht der- oder diejenige, die einzig und allein seine Barmherzigkeit genießt. Es sind wir. Gott überfordert mich. Das macht uns zur Gemeinschaft, zur Kirche derer, die weit über sich hinaus geliebt werden. Die Erfahrung des Einzelnen wird zur Erfahrung aller, die sich darauf einlassen. So entsteht die Gemeinschaft der Erfahrenen – jetzt und für alle Zeit. Die Kirche derer, die Gott spüren können in der Kraft seiner Vergebung. Die Kirche der Neustarter. Die D-A-N-K-E – die Kirche der Dankbaren.
In dieser Kirche gelingt es in jedem Detail des Lebens, den Atemzug Gottes zu spüren, der in allem ist, was atmet und lebt, wie auch in allen Schmerzen, die damit verbunden sind. Echte Dankbarkeit fordert mich heraus, meine Grenzen zu überwinden. Gott will nicht, dass wir uns auf das fokussieren, was wir nicht können oder glauben zu können, sondern auf das, was er in uns entstehen lassen kann, auf das, was er durch uns wirken kann.
Das reicht
3. Über alles
Es geht um die richtige Antwort auf Gott, auf das, was er tut in mir und durch mich. Man kann das nicht einfach reinschieben und runterschlucken, so wie ne Sahnetorte. Der Gott, der an mir geschieht, ist eher ein Muntermacher. Nicht umsonst ist die christliche Kirche die Kirche der Dankbaren. Es ist nicht die Rede von Danksagung, wie an einen Verstorbenen. Weil Gottes Barmherzigkeit unter uns lebendig ist, entsteht daraus lebendiger Lobpreis, somit ein bisschen Begeisterung um Gottes willen, nicht um irgendetwas zu erreichen, einfach, weil er ist und handelt. Gerade in einer Welt, in der nicht alles ist, wie es wünschenswert wäre.
Unser Dankeschön in einer Welt, die uns rat- und sprachlos macht, in der einem manchmal die Worte fehlen. Gerade da kommt es darauf an, eine Melodie der Dankbarkeit anzustimmen, um sie dem herrschenden Unheil ins Gesicht zu singen. Cantate – so heißt der heutige Sonntag. Er ist speziell dafür gedacht, daran zu erinnern, dass es Grund zum Singen gibt – weil Gott mehr tut, als er unterlässt. Man muss gar nicht alles verstehen. Unser Choral der Dankbarkeit verändert auch nichts. Gott wird nicht größer oder kleiner dadurch, dass wir ihn loben oder preisen. Trotzdem kann unsere Antwort auf ihn wohl kaum betretenes Schweigen sein. Selbst dann, wenn die Welt sich andersrum dreht als wir es wünschen.
Es gab und gibt immer Probleme, die einem die Lust zu Singen rauben. Trotzdem ist da unser Dankeschön für alles, was Gott ist und gibt. Es lässt sich auf viele tausend Arten sagen oder singen. Es gibt das neue und das alte Lied, das der eine oder andere singen kann.
Gestern war bei mir eine Oma auf dem Markt. Sie hatte letztes Jahr eine abgebrochene Restepflanze für 0,50 € aus unserer Pflegeecke gekauft. Sie hat sie sogar durch den Winter gebracht – und jetzt blüht sie und blüht sie und blüht wie verrückt. Oma wollte gar nicht aufhören, von ihrer Pflanze zu schwärmen, von einer todgeweihten Pflanze für 0,50 €.
So viel Grund zur Dankbarkeit hat jeder von uns – selbst unter den schlimmsten Umständen. Nicht nur deshalb ist die richtige Antwort auf das, was Gott gibt, Cantate – gelebtes und gesungenes Dankeschön.
Wer nicht singen kann, kann wenigstens den Takt klopfen. Unser Schlagzeuger steht dabei mit Rat und Tat zur Verfügung. Amen