Titus 3, 4 – 7 (Luth 17)
Ein unverschämtes Thema an Weihnachten, das sicher an mancher pietistischen Seele kratzt. Es geht doch ums Christkind. Um einen Stern, über einem Kuhstall und um ein Licht, das von einem Futtertrog, um die ganze Welt geht. Wir sind doch in dieser Geschichte nur Hirten, ganz normale Arbeiter, die ihr Geschäft machen, um ihre Brötchen zu verdienen. Vielleicht noch etwas gebildete Intelligenzen, die bei ihren Forschungen zu neuen Erkenntnissen gekommen sind. Da sind astrologische Konstellationen, die bei dieser Geburt auf etwas Besonderes hinweisen.
Ja, es kommen viele, um Geburtstag zu feiern. Wir feiern das Außergewöhnliche, wir bewundern das Himmlische und besingen das Göttliche. Die ganze Menschheit jubelt an der Krippe und ist verzückt, dass Gott so menschlich geworden ist. Die Luft ist voller Emotion. Rührselige Gemüter halten krampfhaft für wenige Stunden, den nicht vorhandenen Familienfrieden hoch. „Oh du fröhliche“, flächendeckendes Glockenläuten in der Heiligen Nacht, doch dieses weltweite Ereignis, scheint eine Totgeburt zu sein.
Eigentlich wollte Göttliches geboren werden.
1. Eine Nullnummer unter der Dusche
nicht um der Werke willen, die wir in Gerechtigkeit getan hätten, sondern durch Jesus Christus, der über uns reichlich Heiligen Geist ausgegossen hat.
Nirgends tritt der menschliche Wahnsinn stärker ans Licht als in der Heiligen Nacht. Gerade da, wo alles schön sein soll, wo sich jeder nach Harmonie und Wärme sehnt, knistert es im Gebälk und irgendein emotionaler Sprengstoff geht hoch. Die Sehnsucht nach ein paar friedlichen, feierlichen Augenblicken, bereitet alles vor, treibt Erwartungen ins Unermessliche und ein schräger Satz, legt das kerzendurchflutete Heim in eisige Stille. Stille Nacht, heilige Nacht.
Spätestens an Weihnachten scheitert das menschliche „alles-recht-machen-wollen“. Schmerzhaft erleidet alle Welt, sie kann den Frieden, den sie will, nicht schaffen. Alles Gut-Wollen und Gut-Meinen wird an Weihnachten lügengestraft. Weihnachten lässt sich nicht organisieren, Kriege nicht abstellen, Katastrophen nicht verhindern. An der Krippe zerschellen alle guten Absichten. Beim Blick in die Krippe, schaut mich meine ganze Unfähigkeit an, göttlich zu leben. Mich trifft der Jammer, dass das Gute, das ich will, mir ständig in den Händen zerrinnt. Wer meint, er hätte sein Leben im Griff, erkennt sich im Stall von Bethlehem als jämmerliche Gestalt. Wenn wir sehen, was wir wirklich von all den hohen christlichen Idealen umsetzen können, müssen wir uns eingestehen: Gott hat sich mit uns eine Nullnummer gezogen. Das ist die wichtigste Weihnachtserkenntnis über uns selbst.
Dieses Krippenerlebnis lehrt uns, dass wir nicht zur Krippe kommen, sondern zur Krippe werden. Der, der da vor uns im Stroh liegt, will nicht bepilgert werden, sondern da liegt Geist Gottes im Stroh, der in mir geboren werden will. Christus ist ausgegossener Geist, der eingefrorene Materie auftauen will. Er ist die Volldusche, über die unheile Welt. Die Verkrustungen, das verhaftet sein an das Sterbliche, soll vom Ewigen überflutet werden.
Damit sagt das zerbrechliche Kind in der Krippe: Du sollst zum Wunder werden, in dir soll sich das Göttliche ereignen, doch das kann du nicht machen, dazu muss mein Geist überlaufen.
2. …wird vom Ewigen zugeschüttet
durch Gnade, durch die Hoffnung auf ewiges Leben und das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, seid ihr…
An Weihnachten prallen Welten aufeinander. Materie und Geist – irdische und ewige Welt, gegenwärtige und zukünftige Welt. Veränderung geschieht nicht durch ein spektakuläres Ereignis an Weihnachten, das so ergreifend ist, um bleibende Spuren zu hinterlassen. Die Veränderung von Weihnachten ist, dass unfassbar Ewiges, zur sichtbaren Realität wird. Der Geist, der die Erde zuschüttet, ist die unsichtbare, ewige Welt, in der alles ruht. Der Geist ist Gott selbst, mit dem alles, zu allen Zeiten miteinander verbunden ist. Es ist das Wort, das am Anfang gesprochen hat: Es werde!
Das was wir sehen, was wir anfassen, was uns umgibt, ist zur Materie gewordenes Wort. Wo der Geist weht, geschieht Schöpfung. Die ganze Welt ist sichtbar gemachtes Wort Gottes. Der Geist dieses Wortes, ist die eigentlich schöpferische Größe in der Welt. Er schafft Neues aus dem Ewigen heraus. Irdisches, Materie kann nichts erschaffen, weil sie ein Produkt mit Verfallsdatum sind. Daher kann Erneuerung von all dem, unter dem wir leiden, nicht aus Menschen und von der Erde kommen.
Weihnachten ist die Gnade, dass sich die schöpferische Welt in der gefallenen Welt zeigt. Die Hoffnung greift mit leeren Händen in die himmlische Ausschüttung. Sie erduldet nicht mehr, was die materielle Welt ihr antut oder bietet, sondern greift nach dem Geist, der uns zu Gestaltern aus Ewigem machen will. Diese Hoffnung glaubt nicht pro forma an eine bessere Zukunft, sondern gestaltet die Gegenwart mit Zukunft.
Wo ich hoffe, verbindet sich mein Geist mit ewigem Geist. In diesem Moment verlässt er seinen Körper, seine Materie, die Zeit und den Raum der irdischen Welt und bewegt sich im unbekannten Raum der ewigen Zukunft.
„Die Hoffnung ist ein Denken, das im Unendlichen spazieren geht,“ sagt der franz. Theologe Dominique Lacordaire.
Welche Kraft hätte eine Hoffnung, die nur in einer wagen Ahnung stecken bleibt. Da könnte man mit Jonathan Swift sagen: selig sind die, die nichts erwarten, denn sie sollen nicht enttäuscht werden. Wo wir hoffen und kein konkretes Ereignis aus der Zukunft ergreifen, von dem was Gott möglich ist, sagen wir einem Versandhaus, schickt mir einfach etwas Schönes, was mir gefällt und es wir nichts kommen. In dem wir hoffen, erschaffen wir die Zukunft. Wir greifen in die Schatzkammer Gottes, in der alles zur Verfügung steht, was Gott ist und hat. Wir kennen das doch, wie aus einer Schubkarre und zwei Spaten ein Millionenprojekt wurde.
3. Fängt an vom Erbe zu leben
Er machte uns selig, wir sind gerecht geworden, und erben ewiges Leben.
Er macht selig, macht gerecht, macht ewig. Wo er das nicht macht, wo Weihnachten in menschlicher Rührseligkeit erstickt, bleibt Frust. An der Krippe entscheidet sich, ob wir weiterhin vom Unrecht kurz und klein geschlagen werden. Die ganze Schuld der Welt, wird uns weiterhin erdrücken und alle Hoffnung auf die Zukunft rauben. Wir bleiben auf der Weide unserer kleinen Welt und fressen das Gras, das wir immer gefressen haben. Sind von einem elektrischen Weidezaun eingesperrt, der uns vor dem Darüber hinaus erschrecken lässt. Wir haben brav gelernt, an den uns gesetzten Grenzen stehen zu bleiben und dem unendlichen Dahinter müde lächelnd hinterherzuschauen. Wir geben unserer Angst recht, dass es gefährlich ist, diesen dünnen Zaun zu durchbrechen.
Wo der Geist der Freiheit, der an Weihnachten in uns geboren werden will, uns nicht dazu bringt, die Angst zu überwinden, werden wir immer hinter unseren Möglichkeiten bleiben, an unserer Situation verzweifeln und gegen Wände laufen. Wir werden die Zukunft verbauen und unser Erbe verkommen lassen.
Wo jedoch der Stern von Bethlehem bei uns einschlägt, wo dieser neue Geist geboren werden darf, verlassen wir die Komfortzone, besiegen wir unsere Angst vor der Berührung unserer Grenze. Wir wagen mit Weihnachten den entscheidenden Schritt in die Zukunft, den Gott in und durch uns verwirklichen will. Weihnachten will die Vorwürfe, die ganzen Beklemmungen wegnehmen, will uns loslösen von der irdischen Kleinheit und Vergänglichkeit. Vor uns geht die große, unbekannte Welt auf, die sich in uns gestalten will. An Weihnachten wird Bescheidenheit von größter Wertschätzung getroffen, das ewiges Erbe auf den Gabentisch legt.
Dieses Erbe greift nicht erst wenn wir sterben. Es gilt ab heute. – Es gilt mit Christus. Ab heute leben wir nicht mehr in unseren bisherigen Grenzen. Der Geist, den wir erben, lässt sich von keinem elektrischen Schlag mehr aufhalten. Wir gehen hemmungslos auf die Zukunft zu, die jetzt alle Grenzen aufbrechen will. Wir überwinden die Angst, die uns zurückhalten will, unsere alte, gewohnte Welt nicht zu verlassen und wachsen Stück um Stück in die göttliche Freiheit, die wir gerade geerbt haben. An Weihnachten will das Göttliche im Menschen aufbrechen. Das Kind in der Krippe will im Vergänglichen, das Unvergängliche erschaffen. Der Geist will Menschen befähigen, in allen Krisen und Engen, ihr Erbe zu ergreifen und über das Bisherige, über sich selbst, hinauswachsen.
Wir haben nicht nur eine Million Euro geerbt, wir haben ewiges Leben geerbt. Damit steht uns mit Weihnachten ein wesentlich größeres Kapital zur Verfügung, um angstfrei in die Zukunft zu gehen.
Was will uns jetzt noch aufhalten, hemmungslos göttlich zu leben?