08.01.2023 – Br. Markus – Johannes 1, 29-34
Heute machen wir die Predigt mal ein kleines bisschen anders. Dazu ist es notwendig, daß ich die Kanzel mal eben kurz verlasse.
————– geht raus
Da bin ich wieder. Ich war kurz unsichtbar, und trotzdem da. Das Entscheidende ist: Ich bin auf eigenen Wunsch wieder zu Euch gekommen, in diesen Raum, wo ihr mich sehen könnt.
—————— geht raus, kommt zur andern Türe rein
Da bin ich wieder – wo ihr mich nur bedingt sehen könnt, weil ich hinter euch stehe und ihr mich eigentlich vor euch erwartet habt.
———————— geht raus, kommt zur andern Türe rein
Da bin ich wieder. Ich komme aber aus der genau entgegengesetzten Richtung – von dort, wo keiner von euch die Kirche betreten hat.
————————- wieder auf der Kanzel
Jetzt bin ich wieder da, wo ihr mich zu Recht erwartet, wo ich heute zu stehen habe. Kleine Frage: Wer von euch konnte mich spüren, als ich nicht sichtbar war – da draußen vor der Tür? Wer von Euch konnte mich fühlen? Konnte wenigstens jemand ahnen, daß ich da draußen rumgeistere oder meine Schritte hören?
Es geht im heutigen Predigttext um eine spirituelle Erfahrung, die richtungweisend und bestimmend ist für diese Welt, mindestens aber für eine Religion, die sich „die Christenheit“ nennt.
1. Der mit dem Feuer tauft
Vor ein paar Minuten stand da nicht Sonne, Mond und Sterne vor der Tür, sondern ich. Wenn jetzt hier drinnen einer behaupten würde, da draußen wäre nichts, wäre das eine Beleidigung für mich, der ich da draußen stand.
Der mit dem Feuer tauft, hat einen klaren Namen.
Der mit dem Feuer tauft, hat ein Gesicht.
Der mit dem Feuer tauft, hat seinen eigenen, freien Willen.
Er ist handelndes Wesen, so wie ich.
„Ich werde sein, der ich sein werde“ – Gott hat ein Recht, frei zu entscheiden, ob er den Raum betritt. Das unterscheidet ihn von allen konstruierten Göttern. Wer glaubt, durch spirituelle Übungen oder Aktivitäten Gott zum Betreten eines Raumes zwingen zu können, vergewaltigt den Schöpfer der Erde. Gott ist doch nicht unser Aladin, der aus der Flasche steigt, wenn wir in die Hände klatschen oder Sehnsucht nach religiösen Gefühlen haben, nicht einmal dann, wenn schwarze Nacht uns umgibt und wir einen Lichtstrahl Hoffnung nötig haben. Wer glaubt, daß Gott wie ein Hund ist, den man herbeipfeifen kann, irrt sich.
Es gehört zur Ernsthaftigkeit eines spirituellen Weges, Gott sein eigenes Wesen zuzugestehen – was soviel heißt, daß er nicht kommen muß, wenn mir danach ist. Gott offenbart sich genau dann, wenn er es will – nicht dann, wenn ich glaube, daß er es zu leisten hat. Der mit dem Feuer tauft, offenbart sich. Nicht ich offenbare Gott. Wenn ich Gott steuern könnte, hätte er aufgehört, Gott zu sein. Es gehört zum erwachsenen Glaubensvollzug, Gott seinen freien Willen zuzugestehen. Er selbst entscheidet, wann und wie er einen Raum betritt.
In Christus betritt Gott aus freiem Willen die Erde. Der Kommende ist der Stärkere, weil er selber die Entscheidung trifft. Er ist stärker, weil er hinter allem steht, was ist und alles sowieso auf ihn bezogen ist. Weil Gott lebendiges Wesen ist, offenbart er sich. Er geht auf mich zu in seinem Sohn, der Christus ist. „Das Licht scheint in die Finsternis, und die Finsternis hat`s nicht ergriffen“
Gottes Sohn – keiner von uns weiß so richtig, ob er`s wirklich ist.
Ich war dieser Tage auf einer Internetplattform für spirituelle Erleuchtung unterwegs. Dort geht man allen Ernstes davon aus, daß es ca. 800 bis 1.400 Reincarnationen braucht, um zur wahren Erleuchtung zu gelangen. Kein Witz!
„Siehe, da ist Gottes Lamm. Dieser ist der Sohn Gottes.“
Es genügt nicht, in Christus das Besondere, das Außerordentliche oder das Vorbildliche zu sehen. Es genügt nicht, das Göttliche in Christus zu sehen. Das Göttliche findet man in jedem Menschen. Christus ist viel mehr als ein Träger göttlicher Impulse. Er ist Gottes Sohn. So will es der Schöpfer, daß wir ihn verstehen. Der Theologe Voigt findet in Christus eine einzigartige Deckung von Lehre und Leben, und er führt aus „Der hier auf uns zugeht, unterliegt nicht der Vergänglichkeit, ist nicht ein Mensch, der sich selbst zu Gott macht.“ Das macht den Unterschied.
Der mit dem Feuer tauft, ist Christus.
2. Unsere Mitte
Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.
Johannes der Täufer sieht etwas, was nicht jeder sieht. „Wir Menschen haben für das Göttliche genaugenommen kein entsprechendes Organ“ sagtVoigt.
Das heißt: Ohne eine Offenbarung oder auch Erleuchtung können wir Gott in Christus nicht sehen. Wir stehen wie vor einer Wand, hinter der nichts lebendes zu sein scheint. Ohne Offenbarung können wir nicht Christen sein, weil es eben Gottes Aktion ist, seine Offenbarung, daß wir überhaupt aufnahmefähig werden. Wo Gott nicht den Raum betritt, bleibt jede Gotteserfahrung aus, ist jede Erleuchtung ein Irrlicht.
Die Sünde der Welt ist viel zu groß, als daß es einen eigenen Weg zur Vergebung geben könnte. Ich kann nicht das, was Christus kann. Obwohl ich Gottes Sohn oder seine Tochter bin, kann ich nicht, was meine Bestimmung ist: Sohn oder Tochter im Vollbringen sein. Es geht um unseren unvollkommenen Zustand und unsere Gottestrennung und unsere falsche Lebensweise draußen vor der Tür. Es geht darum, daß die Sünde unsere Mitte ist, die einen Verwandler braucht, einen Transformator in die Gerechtigkeit. Es braucht den Christus, der unsere Mitte ist.
Es genügt nicht, in Gottes Sohn das heilige Genie zu sehen, den weisen Mann. Christus ist das Opferlamm, das mich erträgt und alle, die daran kranken, nicht so toll zu sein, wie sie gerne wären. Dazu gibt es Gottes Sohn, daß ich mich wieder anschauen kann im Spiegel Gottes, in dem mein Leben steht und dann auch wieder glänzen kann als das, was es sein soll: erfüllt. Christus ist meine Mitte – und somit die Mitte unseres Gottesdienstes. Deshalb ist unsere Mitte Eucharistie
3. Christus in uns
„Der Christus für uns ist zugleich der Christus in uns.“ sagt Voigt.
Es geht um das ganze Heil und den vollen Freispruch. Es geht um unser Sohn und Tochter-Sein im Vollmaß unseres Auftrags. Wir sind getauft – oft schon als Säuglinge, was uns leider den Augenblick der Erkenntnis raubt, den entscheidenden Moment, der uns überwältigen kann, in dem der Heilige Geist genau das offenbart, was Gott sagen will: Christus ist es, nicht ich.
„Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.“
In Christus betritt Gott den sichtbaren Raum und räumt auf in der Welt, in der so viele Trümmer die Sicht auf ihn verstellen. Der, der vor mir war, ist mehr als ich, überwindet den tiefen Riß, der tief in mir, in jedem Menschen lebt, den tiefen Spalt zwischen meinem Wort und meiner Tat, die meistens so ganz anders ist, als ich mir das gedacht hab.
Er ist es, nicht ich, der für uns und für die anderen gerade stehen kann.
Er ist das Wort, das vollbringen kann, was ich nicht träumen oder ahnen kann.
Er ist das Wort, das meinen Glauben sucht und mich zum Wagnis des Vertrauens animieren will.
Jesus Christus gründet die Gemeinschaft derer, die durch das Wort erreichbar sind. Das hat nicht grundsätzlich den Kick einer übersinnlichen Erfahrung, ist aber durchaus ein spirituelles Erlebnis. Die Taufe durch den Heiligen Geist macht uns für das Wort erreichbar, so, wie einer durch eine Tür kommt, um mit uns im selben Raum zu sein. Es ist das Wort, das die Welt bewegt, der Buchstabe des Gesetzes, der uns bindet und befreit, fesselt wie beflügelt und bewegt und die nötige Bodenhaftung gibt. Der Heilige Geist setzt ein klares Zeichen, ein Zeichen, das nur der verstehen kann, der durch das Wort erreichbar ist. Er ist es, in dessen Wort meine nervöse Seele zur Ruhe kommen kann. Christus ist es, der Einzige, der dieses Wort wahrhaftig verkörpern kann.
Er ist es, dessen Wort mich trifft, wenn ich nachts auf dem LKW sitze und gar nicht damit rechne, daß einer die Beifahrertür aufmacht und sagt: „Da bin ich.“
Das will Johannes der Täufer glasklar machen: Christus ist es – das Ende unseres zentralverriegelten Menschseins. Amen.