Denn wenn ich schwach bin, bin ich stark

Sonntag, den 30.06.24
-Br. Markus-

2. Kor. 12, 7-10

Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe.

Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, daß er von mir weiche, und er hat zu mir gesagt: „Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohnte.

Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Mißhandlungen, in Nöten und in Ängsten um Christi willen, denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Denn wenn ich schwach bin,
bin ich stark

Darf ich Sie mal was ganz persönliches fragen: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie einen Sack Zement hochheben sollen:

a) Total überfordert

b) Unverschämt belästigt

c) Vom Schicksal hart geschlagen

d) Provoziert

e) Nicht richtig ernstgenommen

f) Der Aufgabe gewachsen

g) Unterschätzt

Sie können ruhig mehreres ankreuzen – in Gedanken, versteht sich. Wir haben hier völligen Datenschutz (bei uns im Gottesdienst).

Bei mir persönlich ist es so: Ein Glas Bier kann ich noch heben, was schwerer wiegt, sieht eher schwierig aus. Man soll ja seinen Rücken schonen, sagen die Ärzte.

Stark oder schwach – wo ordnen wir uns ein?

Bei denen, die locker flockig stemmen und heben?

Bei denen, die traurig sind, nichts mehr zu bewegen?

oder bei denen, die froh darüber sind, so schwach zu sein?

Bei Paulus geht es nicht um Kategorisierung in Sieger- oder Verlierertypen.

Bei Paulus geht es nicht um ein Psycho-Konzept nach dem Motto: Wie man in vierzehn Tagen von der grauen Maus zum Tiger im Tank wird.

Es geht aber schon um übernatürliche Kraft, die im natürlichen Leben sichtbare Beweise schafft: die Kraft der Gnade.

1. Sie offenbart ihr Geheimnis

2. Wirkt anders, als gedacht

3. Verwandelt ins Gegenteil

1. Sie offenbart ihr Geheimnis

Damit ich mich wegen der hohen Offenbarung nicht überhebe, ist mir ein Pfahl ins Fleisch gegeben.

Paulus hat eine Vision – nicht etwas Übersinnliches, kaum Fassbares, Außerirdisches  – eher wie eine Erkenntnis, die man hat – wie wenn man ein unlösbares Problem hat, das einen nicht mehr schlafen lässt, und plötzlich einen Weg erkennt, einen ganz neuen, bisher ungeahnten, einen Weg hinaus aus dem Dschungel der Unmöglichkeiten.

Offenbarung im Sinne klarer Erkenntnis – Gott offenbart sein Kraftgeheimnis.

Er offenbart sich in nur drei Worten, maximal vier. Sie lauten: Ich bin schwach, zu schwach.

Es ist ein weiter Weg zu dieser Erkenntnis,

daß nicht ich die Welt retten kann, sondern ein anderer.

daß nicht ich die Freude bringe, sondern ein anderer.

daß nicht ich verzeihen kann, sondern ein anderer.

Ich nicht, nicht meine Kraft.

Es wäre ja eine ganz normale menschliche Reaktion, hätte Paulus aufgehört, als es anfing, weh zu tun.

Jeder hat doch Verständnis dafür, daß man aufhört, spätestens dann, wenn es die eigene Gesundheit angreift – oder nicht?

Es lohnt sich, das Umfeld des heutigen Predigttextes zu lesen.

Hier zählt Paulus viele Nachteile auf, die er wegen des Glaubens erlitten hat: Knast, Schläge, Verleumdung, Verrat, Enttäuschung.

Hunderttausend Gründe für einen Burn-out –  immer auf Achse, Schiffbruch inklusiv.

Paulus ist und war keiner von der Sorte, die froh über die eigene Schwäche waren.

Er hat seine Pfunde nicht vergraben, sondern riskiert.

Seine Biografie liest sich wie die eines Mandela, eines Starken, der voller innerer Energie steckt.

Obwohl er stark aussieht, obwohl er Starkes vollbringt, obwohl er mehr bewirkt als andere, weiß er, daß er schwach ist.

Es ist kein künstlich erzeugter religiöser Komplex (je schwächer, desto heiliger).

Es ist das reale Bewusstsein und die reale Einschätzung der eigenen Bedeutung und Stärke.

Eben das unterscheidet christlichen Glauben von Psychokonzepten.

Wir glauben nicht an unsere Stärke, wir springen nicht in die Glasscherben, wir umarmen uns nicht selbst.

Wir wissen um unsere Verletzlichkeit, um unseren Wankelmut und um unser wahres Kampfgewicht.

In der Offenbarung der eigenen Schwäche wurzelt die Lehre der Kirche: nicht Glorie, sondern Kreuz.

Nicht die große Begeisterung, sondern das Erschrecken über mich sind darin die Grundlage.

Die Offenbarung der Kraft Gottes ist zugleich die Offenbarung meiner Kraftlosigkeit – eben weil die Probleme der Welt zu groß, die Lasten zu schwer und die Grenzen zu dicht sind, als daß ich etwas ändern könnte.

Meine Schwäche ist aber nicht das Ende des Films, sondern der Anfang. Das offenbart sich in Christus. Seine Kraft

2. Wirkt anders, als gedacht

Dreimal habe ich zum Herrn gefleht, daß er von mir weiche, und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen …

Dreimal betet Paulus, dreimal tut sich nichts.

Pfahl im Fleisch – es gibt unzählige Vermutungen darüber, welche Krankheit Paulus hat.

Das reicht von psychischen Defekten bis zu nicht diagnostizierbaren Krebsansätzen oder Epilepsie.

Tatsache sind Schmerzen, heftige Schmerzen an der Grenze des Erträglichen in einer Zeit vor Ibuprofen 800.

Kein Arzt und kein Gott befreit ihn  davon.

Nicht so zu können wie die anderen, nicht so leistungsstark zu sein, den Defekt als Defekt begreifen, das würde jedem von uns auch weh tun.

Und das Schlimmste daran ist: Gott belässt diesen Defekt, den wir nicht kennen, der aber lebenslang Paulus einschränkt in seiner Arbeit für Gott.

Pfahl oder Stachel im Fleisch – da ist eben nicht die Rede von einem bestaunenswert Starken, der federleicht Siege des Glaubens erringt und wie ein Held von Erfolg zu Erfolg schreitet, sondern von einem, der immer wieder abstürzt ins eigene Elend, in die Zweifel im Ringen nach Durchblick.

Paulus sonnt sich nicht im Reichtum seiner religiösen Erfolge – gerade, weil er weiß, daß er ein Schwacher ist.

Der Theologe Voigt sagt: „Es ist nicht die größere Nähe zu Gott, nicht die größere Einsicht, nicht die größere Erfahrung, nicht das höhere Konto von Gebetserhörungen.“

Paulus geht mit Gott, seine Krankheit bleibt. Die heilende Kraft Gottes wird für ihn nicht spürbar. Er hat sich das anders vorgestellt.

Ein Apostel ist nicht ein positiver, sondern ein negativer Mensch, ein Mensch, an dem ein Hohlraum sichtbar wird…“ sagt der Theologe Voigt.

Paulus – hohl und schwach, ohne Gebetserhörung in eigener Sache, krank, keiner, der mit virtuoser Zungenrede oder massenhaften Heilungserfolgen beeindrucken kann. Schwach.

Würde Paulus heute leben, könnte er sich nicht retten vor guten Ratschlägen über die richtige Ernährung, das persönliche Fitness-Konzept oder die rennomierteste Klinik, die spezialisiert ist auf Stachel im Fleisch.

Es steht aber nicht in der Bibel, daß das Gesundheitswesen zu verachten sei oder Schwäche ein Ideal. Es steht nicht: je heiliger, umso defekter.

„Wer also eine gewisse Kümmerlichkeit und Jämmerlichkeit des ganzen Menschenwesens für frömmer und Gott wohlgefälliger halten wollte als den Überschwang vitaler Kraft, der hätte den Apostel gründlich missverstanden.“  sagt Stählin

Es geht um unser Bewusstsein. Der Zustand von Schwäche muß nicht künstlich herbeigeführt werden. Er ist da.

Es geht darum, die eigene Kraft realistisch einzuschätzen, und da scheitert der Mensch oft am Wunschbild, das er von sich hat.

Wer bin ich? Bin ich eine Riese oder ein Zwerg, stark oder schwach? Das ist doch immer abhängig von der Aufgabe, die vor mir liegt.

Einen Zementsack schaff ich schon noch – wir haben das in der Bauzeit treppauf, treppab trainiert. Bei zwei Zementsäcken wird’s eher schwierig.

Die kaputte Beziehung, der Hunger in der Welt oder der verrückte Diktator von XY ist selbst mit einem Radlader nicht zu heben.

Da muß ich mich nicht klein reden oder schwach machen, da merk ich doch von selbst, daß ich’s nicht stemmen kann.

Da braucht es nicht einmal die himmlische Offenbarung, um zu sehen, daß es Schwierigkeiten gibt, die größer sind als ich, auch wenn ich bei bester Gesundheit bin und regelmäßig Dauerlauf mache.

Wenn ich sämtliche Persönlichkeitsentwicklungs- und Sozialkompetenzprogramme dieser Welt erfolgreich absolviere, stehe ich abschließend vor der Erkenntis, daß ich zu schwach bin, um die Welt aus den Angeln zu heben und daß es manchmal nicht mal für mich selber reicht, daß der Hohlraum bleibt, mein Hohlraum, meine Nacht, die ich auch mit bester Atemtechnik nicht erhellen kann – das, was schmerzt.

In den Hohlraum hinein spricht der Herr zu Paulus: „Laß dir an meiner Gnade genügen.“ Und da bleibt doch die schmerzhafte Frage, ob die Gnade wirklich genügt, wenn die Gesundheit nicht mehr mitmacht.

Da sieht doch alles ganz anders aus, als ich mir wünsche oder gedacht habe.

„Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“

So unverschämt, wie das klingt, ist es auch.

Der zweite Teil des Satzes

3. Verwandelt ins Gegenteil

Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Mißhandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen, denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Es ist nicht meine Schwäche, die Gott braucht, um stark zu sein, aber es ist die Schwäche, in der sich Gottes Kraft vollendet.

Das bedeutet, daß ich nie mehr zu schwach bin.

Gottes Kraft vollendet sich in mir, in meinem Hohlraum. Das heißt nicht zwingend, daß der Hohlraum verschwindet, sondern, daß ich so stark werde, daß ich meinen ganz eigenen Hohlraum ertragen kann.

Es ist nie die Botschaft der Bibel gewesen, ein Leben ohne Hohlräume zu versprechen, wohl aber ein Leben getragener und bewältigter Ängste.

Paulus wird nicht von seiner Krankheit befreit. Trotz aller Schmerzen ist sein Leben voll starker Kraftbeweise.

Trotz der Sehnsucht und in der Sehnsucht fängt an, die andere Energie zu strahlen, die Kecharismai-Energie, die Kraft der Gnade, die Energie, die das Unmögliche möglich macht.

Die Kraft, die meine Schwäche kennt, sie nicht verleugnet, ausblendet oder überdröhnt, sondern vollendet.

In Christus begegnen wir einer Kraft, zu der wir mit einer rein verstandesmäßigen Betrachtung den Zugang verloren haben.

Christus begegnet uns in seiner Gnade mit neuen Krafterlebnissen und –erfahrungen, die nicht in unseren Rahmen passen, in das, was wir uns zutrauen, heben oder stemmen zu können.

Christus ist die Kraft, die den Zwerg in mir zum Riesen macht, zu dem, der das glauben kann.

Die Kraft der Gnade ist nicht die Kraft, die eigene Schwachheit zu bejammern oder zu besiegen, sondern die eigene Schwäche zum Schauplatz Gottes werden zu lassen, zur großen Bühne der Kraft.

Was sich auf ihr ereignet, kann keiner planen oder ahnen. Es findet statt, wo man es glauben kann.

Was einer heben kann und was nicht, wird so zur Glaubensfrage.

Mein großer Schiffbruch wird so zu einem heiligen Ort, zum Platz, an dem es geschehen kann, das Geheimnis der Kraft Gottes. Und das wiegt schwerer, als man heben kann. Amen.

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