-Br. Markus- Lukas 17, 7-10
Wer unter euch, der einen Knecht hat, der ihm pflügt oder das Vieh weidet, sagt ihm, wenn er heimkommt vom Felde: „Komm sogleich und setze dich zu Tische.“ Ist’s nicht vielmehr so, dass er zu ihm sagt: „Richte zu, was ich zu Abend esse, schürze dich und diene mir, bis ich esse und trinke. Danach sollst du auch essen und trinken.“ Danket er auch dem Knechte, dass er getan hat, was ihm befohlen war? So auch ihr. Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: „Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“
Diese Sklaverei macht frei
„Wenn ihr Glaube habt wie ein Senfkorn und sagt zu diesem Maulbeerbaum „Reiß dich aus und setze dich ins Meer.“ so wird er euch gehorsam sein.“ sagt Christus exakt einen Satz vor dem heutigen Predigttext. Deshalb scheint es auch sehr christlich, was moderne Motivationsgurus von sich geben: „Du musst nur an dich selber glauben, das Große in dir, deine innere Stärke und Energie.“ Funktioniert aber nicht und ist vor allem nicht das, was Christus spricht – genau das Gegenteil davon, weil da der heutige Predigttext steht, der den Zusammenhang erläutert. Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich an meine mentale Kraft oder an die Kraft Gottes glaube. Gerade weil Gott meine mentale Kraft stärken kann, gelingt es manchmal nicht, den Unterschied auszumachen, der richtig wichtig ist.
„Wir sind unnütze Knechte“ sagt der Text. „Du bist ein Riese“ sagt die Motivationspsychologie. Das ist der entscheidende Unterschied. Glaube an Gott kann nur da sein, wo ich mich wie ein Sklave nicht nur fühle, sondern weiß. Der heutige Text entzaubert den religiösen Höhenflug. Nicht meine Gedanken oder Träume machen frei, sondern Sklaverei – Christussklaverei, wohlgemerkt.
1. Wo 200 % noch zu wenig sind
So auch ihr – wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist.
Christus zieht einen Vergleich: Herr und Knecht. Das soll nicht heißen, er ist Massa, wir der Sklave. Es geht um’s Bewusstsein. Bin ich in meinem Bewusstsein der edle Ritter, dem die Welt Dank schuldet, oder die edle Prinzessin, die in ihrer Heiligkeit wandelt? Ein Dankeschön ist doch nicht zuviel erwartet, wenn ich was spende, meine Zeit opfere, mitgehe oder sogar mein ganzes Leben in einer Bruderschaft verbringe. Da darf man doch was erwarten – oder nicht?
„Wenn ihr alles getan habt.“ Was, bitteschön, ist alles? Was ist denn das überhaupt: Christenpflicht? Was bringen wir denn ein ins Christsein? Gut, man versucht, ein besserer Mensch zu sein, nicht zu stehlen, zu lügen oder neidisch zu sein, keinen auszubeuten, zu unterdrücken oder falsch zu informieren, hübsch ordentlich und fromm zu sein. Ermordet hat meines Wissens von uns noch niemand. Also alles o.k. in Sachen Christenpflicht! Was genau ist Christenpflicht? Zehn Gebote halten ja, aber dann? Zehn Minuten, zwanzig Minuten oder ne halbe Stunde beten täglich? Wie viel ist Pflicht – zehn, dreißig oder achtzig Prozent? Wann ist es genug, nicht genug oder viel zu viel?
„Was uns befohlen ist“ – Was ist uns denn befohlen? Ein, zwei, drei hundert oder gar keinen syrischen Flüchtling aufzunehmen, nach Alaska zur Mission zu fahren oder nach Stuttgart unter die Brücke? Dafür oder dagegen zu sein, nichts zu sagen oder aufzuschreien, auszuhalten oder abzubrechen, neu zu wagen oder umzudrehen. Was ist Pflicht? Wann habe ich für Gott genug getan? das ist die entscheidende Frage. Wann ist genug geliebt, genug gefastet, geholfen und unterstützt? Andere tun weniger – ist sie relativ, die Christenpflicht? Bin ich dann ein guter Christ, wenn ich 3 % über Durchschnitt bin? Beim Sport gewinnt immer der relativ Beste, der, der schneller, eleganter oder weiter geschanzt ist. Hundert Prozent ist Vorjahresleistung. Dieses Jahr zehn Prozent besser. Bin ich, wenn ich besser bin, am Limit, guter Christ – oder ist es Ermessensfrage.
„Mir ist alles erlaubt“ sagt Paulus. Bin ich dann vor Gott richtig, wenn ich mit mir einig bin, mich gut fühle und den Eindruck habe, meine Gestaltungsfreiheit richtig genutzt zu haben? Bin ich dann gut, wenn ich mein mir zumutbares Pensum erledigt habe? Oder ist es eine Kraftfrage. Endet meine Christenpflicht, wenn mir die Kraft ausgegangen ist? Hab ich es dann erreicht, wenn ich gar nicht mehr kann? Wenn ich dreißig Jahre gerudert habe wie ein Besessener – bin ich dann vor Gott anerkannt? Wenn ich 26 Stunden pro Tag für Gott unterwegs bin, total überfordert und ausgebrannt – bin ich dann sogar über Limit? Wo
200 % nicht genug sind – überfordert Gott?
Die Jünger fragen Christus nach einem Weiterbildungskurs für den Glauben. Christus empfiehlt nicht fromme Tagungen oder Übungen, sondern ein anderes Bewusstsein: die Sklaven-Denke oder Bettler-Denke – zu wissen, dass alles, was ich kann, immer zu wenig ist.
Da sind
2. 0.-€ Mindestlohn der Normaltarif
Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, steht in der Bibel. Das ganze Alte Testament ist voller sozialkritischer Propheten. Karl Marx war also nicht der erste. Christus präsentiert also keine Agenda 2017 oder ähnliches. Es geht nicht um ein Lohnkonzept. Es geht um unsere Erwartungshaltung. Was erwarten wir von Gott als Christen, als „0.-Jobber“, die 200 % oder alles geben? Was dürfen wir erwarten dafür, dass wir so anständig, fleißig oder einsatzbereit sind? Oder will Gott, schlimmer noch, dass wir nichts erwarten, mit ohne Träume und Hoffnungen leben und sind?
Ganz sicher nicht. Gerade der Glaube wird durch Erwartung zum Glaube. Er richtet sich auf Leben aus, hat eine konkrete Lebenserwartung. Lebenserwartung des Glaubens soll aber keine Lohnerwartung sein. Dass Gott uns mag, ist nicht die Folge unserer Anständigkeit, unseres vorzeigbaren Lebens oder aller unserer gesammelten Mühen. Wir wären dazu nie „arm aber rechtschaffen“ genug. Dass Gott uns mag, ist sein Geheimnis. Man versteht es nie. Er mag uns trotz aller unserer Unanständigkeit. Wenn ich zehn Stunden am Tag arbeite, habe ich berechtigten Anspruch auf Bezahlung für zehn Stunden. Wenn ich zehn Stunden Glaube, habe ich Anspruch auf null Stunden Bezahlung. Christus will den totalen Abschied vom Lohndenken. Hört sich einfach an, reicht aber viel tiefer in mich hinein, als ich glauben kann. Lohnverzicht fällt schwer. Man kriegt im Leben schließlich nie was geschenkt. Man freut sich doch, wenn es ein Trinkgeld gibt, wenigstens ein paar warme Worte oder ein höfliches „Dankeschön“ – das ist doch nicht zuviel verlangt, wenn man den Rasen gemäht oder die schwere Kiste ans Auto getragen hat oder sonst wie behilflich war. Der Glaube soll frei von dieser Lohnerwartung sein.
Radikaler Abschied – Christus macht die leise Hoffnung in mir zunichte, dass Gott Danke sagt für alle Anstrengungen meines Lebens – weil er es für selbstverständlich hält. Somit ist der Glaube erst dann stark, wenn er diese eigene Ohnmacht aushält, die Ohnmacht, zu bezahlen, Belohnung zu erwarten. Der Glaube, der Berge versetzt, ist der Glaube, der weiß, dass er nichts vermag und nichts zu erwarten hat. Absolute Ernüchterung für alle, die Opium für’s Volk brauchen oder einen Rausch der Begeisterung. Gott ist kein Krämerladen, wo man für ein braves Leben eine Sahnetorte oder wenigstens ein Bonbon kriegt. Prämie gibt es nicht, Bonus auch nicht. Christus reißt nicht mit, er ernüchtert, dass auf dem Boden der Tatsachen etwas wachsen kann, was viel mehr ist. Das echte Vertrauen, um das es Gott geht, das Vertrauen zwischen zwei eigenständigen Partnern, dass nur dort wachsen kann, wo man nüchtern genug ist, die wahren Größenverhältnisse zu sehen.
Wer seine Ohnmacht vor Gott aushält, wird frei für eine völlig neue Lebensweise.
3. Wir dürfen nehmen, ohne zu geben
Wenn man das im Kaufhaus ausprobiert, gibt’s richtig Ärger – es sei denn, man hätte zufällig das Werbegeschenk erwischt. Wer etwas nimmt ohne zu zahlen, ist ein Schmarotzer oder Dieb. Nehmen ohne zu zahlen ist das Prinzip des christlichen Glaubens. Gott nehmen ohne zu zahlen. Man muss ihn dazu nicht klauen, man kann ihn sich schenken lassen. So steht das Ganze rein optisch viel schöner da. Es geht aber nur so. Abschied vom Leistungsprinzip gelingt nur dort, wo ich mich selbst erkenne, wer ich wirklich bin. Es gibt eine schwäbische Rock-Band, die hat außen auf der Plattenhülle einen interessanten Satz aufgedruckt, sozusagen als eine Art Selbstbeschreibung. Da steht: „Sie hatten nichts und gaben alles.“ Der Text sagt: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: „Wir sind unnütze Knechte. Wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“
Wem es gelingt, sich beschenken zu lassen, der wird frei, total frei, besonders vom überzogenen Anspruch an sich selbst. Wem es gelingt, sich als Sklave zu sehen, kann zum Sohn werden, alles erben, befreit von dem Zwang, bezahlen zu müssen. Wer weiß, dass es keinen guten Namen mehr gibt, mit dem er bezahlen kann, ist frei, frei vom Zwang, mehr sein zu müssen als er ist. Wer begriffen hat, dass er allzumahl Sünder ist, wie Luther es nennt, wird frei dafür, Maulbeerbäume ins Meer zu versetzen. Wer sich als Sklave erkennt, muss gar kein Riese mehr sein. Christus lässt mich hart wie Watte und zäh wie Porzellan werden. Es muss kein Raubtier mehr aus meinen Augen funkeln, es kann dann eine kleine Miezekatze sein. Diese Sklaverei macht frei. Wer Gott dient, wird frei, frei für sich selbst und frei für andere.
Wir werden selbständig in Christus, wie es so schön heißt, selbst und ständig. Amen.