Br. Markus – Joh. 14,15-19
In unserem Kühlschrank steht ein „Tropischer Früchtetraum“. Auf seiner Unterseite steht, gedruckt oder geklebt, wie lange er unter uns sein wird – also falls Willi ihn nicht schon vorher vernascht. „Verfallsdatum“ nennt man das – mindestens haltbar bis … Von Geburt an, quasi, weiß er, wann es mit ihm zu Ende geht, der Yoghurt. Man gewöhnt sich daran, darauf zu achten, wann es zu Ende geht, wie lange er hält, quasi genießbar ist. Schon klar, kein Ding hält ewig, erst recht nicht so ein tropischer Früchtetraum. Einzig der Stracchiatella – Becher ist noch schlechter dran, der erreicht oft nicht mal sein eigenes Verfallsdatum. Ob man als Yoghurt geboren ist oder nicht – irgendwann ist es vorbei – oder nicht?
Der heutige Text ist auch eine Endstation. Er berichtet von einem, der geht, aber viel mehr noch von einem, der kommt – nicht nur kommt, sondern auch bleibt, für immer bleibt, auf ewig da ist.
1. Wir sind nicht allein
19 Schon bald werde ich nicht mehr auf dieser Welt sein, und niemand wird mich mehr sehen. Nur ihr, ihr werdet mich sehen. Und weil ich lebe, werdet auch ihr leben.
Es sieht aus wie der große Abschied. Christus geht, geht hinaus in diese andere Welt, aus der er gekommen ist, die keiner sehen kann, von der man vermuten muß oder glauben kann, dass sie überhaupt da ist, eben weil man nicht wirklich beweisen kann, dass es ihn überhaupt gibt, jenen überirdisch großen Raum, „Welt Gottes“ genannt. Christus geht, bricht auf, um zurückzugehen, dahin, woher er gekommen war, um Brot für die Welt und Hoffnung für alle zu sein, zurück in jene andere Welt, hinterlässt er hier und vor den Augen der Jünger, vor unseren Augen, ein Loch. Es klafft eine Lücke, ein Hohlraum in unserer Welt, die so zu einer Welt ohne sichtbaren Christus geworden ist oder mindestens geworden zu sein scheint. In ihr sieht man ihn nicht, Christus, den Auferstandenen. Er scheint nicht mehr da zu sein seit damals, einfach ausgerissen, abgehauen aus der sichtbaren Welt, die uns umgibt und erdrückt mit allem, was so gar nicht nach Christus aussieht in ihr. Er hat sich vom Acker gemacht, so scheint es, und lässt uns dabei zurück. Die glaubende Kirche sieht ihn nicht mehr in unserer sichtbaren Welt. Wir sehen die Krisen und Probleme, die es gibt, aber Christus nicht mehr. Krankheit, Krieg, Neid oder Streit sind vor unseren Augen jeden Tag da. Christus scheint abgelaufen seit jener Zeit, das Problem bleibt.
Es ist nicht der Abschied eines großen Vordenkers oder Gelehrten, es ist nicht so wie auf dem Friedhof, wenn gar nichts mehr bleibt. Es ist nur ein Wechsel von unserer Wirklichkeit in eine andere. Christus geht nicht einfach so über Nacht oder durch den Hinterausgang. Er geht schon, aber er lässt sich selber zurück, in anderer Form zwar, aber deutlich da. Nicht nur im Augenblick, im Moment, wo er geht, sondern für länger, für immer und ewig. Sein Geist, der Geist Gottes, der Heilige Geist, bleibt zurück, um ansprechbar zu sein. Der Geist Gottes bleibt, wenn Christus geht, auf immer und ewig – wenn auch nicht sichtbar, doch trotzdem da. Christus lässt uns nicht allein, nicht einmal die, die sich alleingelassen fühlen. Er kettet sich an uns in einem Treueversprechen, das ohne Verfallsdatum ist, von allen Ermüdungserscheinungen frei. Es ist sein Geist, der uns bleibt, für uns überall ansprechbar ist, mitten unter uns aushält, an unserer Seite bleibt.
2. Der andere Helfer
16 Dann werde ich den Vater bitten, dass er euch an meiner Stelle einen Helfer gibt, der für immer bei euch bleibt. Dies ist der Geist der Wahrheit.
Christus geht, der Geist der Wahrheit bleibt zurück, hier in unserer Welt, auf diesem Planet, auf dem so viel gelogen und betrogen, geschummelt und getrickst wird. Der Geist der Wahrheit – was sollen wir denn damit? Jeder von uns hat doch seine persönliche, ganz eigene Wahrheit, die jeweils für sich auch richtig ist oder nicht. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied – und so kann man doch auch damit zufrieden sein, dassjeder seine eigene Lebenswahrheit hat – oder nicht?
Ich kenne jede Menge Menschen, die damit zufrieden sind, ihre jeweils eigene Wahrheit zu kennen und – zu verteidigen, ohne Rücksicht auf Verluste, versteht sich. So abwegig ist das gar nicht. Es gibt ein Problem und fünf mögliche Sichtweisen, oder 25 mögliche Sichtweisen – je nach dem, wie viel Leute betroffen sind, sogar 500 oder 5.000 Sichtweisen. Was Wahrheit ist, weiß dabei keiner so genau, verschwimmt zu einem unscharfen Bild in der Fülle der Meinungen.
Der Heilige Geist lässt sich nicht darauf beschränken, ausschließlich Geist der Wahrheit zu sein. Er ist wesentlich mehr, ist aber auch Wahrheitsgeist – nicht irgendeiner Wahrheit unter vielen, auch nicht der Wahrheit, die man gemeinsam beschließen kann. Gottes Wahrheitsbegriff ist größer, er ist einzigartig und eindeutig. Gott sieht die Wahrheit als Wirklichkeit, über allen persönlichen Sichtweisen. Gott sieht Wahrheit als das, was Tatsache ist. Sein Heiliger Geist ist der Geist, der allen Scheinwahrheiten widerspricht. Nicht umsonst ist es der Geist, den die Welt nicht kennt. Man muss sich dabei nicht einmal als ein verkanntes Genie fühlen. Gottes Geist unterliegt nie meinen persönlichen Wahrnehmungen. Das ist brutal und sehr tröstlich zugleich. Es tröstet mich, wenn andere falsch über mich denken und es fordert mich heraus, wenn ich falsch über andere denke. Gottes Wahrheit kann ich mir nicht zurechtbiegen, sie ist Wahrheit in sich. Der Geist der Wahrheit ist der Geist, der frei ist von persönlichen Einfärbungen jeder Art. Christus sieht mich, wie ich wirklich bin. Wenn ich das Gute wirklich gewollt habe, sieht er das selbst da, wo ich es falsch angefangen hab. Wenn ich getrickst hab, sieht er das, selbst wenn es mit lauter frommen Worten ausgeführt war. In dieser Spannung stehen wir vor dem Heiligen Geist.
Ich war kürzlich zu einer privaten Feier eingeladen. Da war ein anderer Gast der Meinung, daß es in der Kirche ausnahmslos und überhaupt nur um’s Geld gehe, das den Leuten aus der Tasche gezogen wird. Der Herr war dermaßen von seiner These überzeugt, daß es absolut unmöglich war, die Wahrheit an’s Licht zu bringen. Kein Einzelfall. Es schlummern viele Konflikte zwischen Menschen darin, daß die persönlichen Wahrnehmungen über die Wahrheit als solche gestellt werden. Der Geist Gottes, der ewig bleibt, ist und bleibt der übergeordnete Geist über alle Scheinwahrheiten und Wahrheitsgefühle hinaus. Vor Gottes Angesicht zählt das, was ist, nicht mehr und auch nicht weniger. Dieser Geist Gottes ist unser Begleiter, unser Beschirmer und Beschützer, unser Tränentrockner und Tröster, unser Verteidiger, der leise Zweite, der nie von unserer Seite weicht. Die Stunde des Abschieds, in der Christus geht, ist die Stunde seiner dauerhaften Anwesenheit an unserer Seite, selbst wenn alles im Leben in die Hose geht, das Leben sich leer und nutzlos anfühlt. Gottes Wahrheit über mich ist größer als ich. ER ist mein Anwalt im Prozeß gegen mich, selbst wenn ich mich selber verurteilen muss. ER ist der andere Helfer, der an meiner Seite geht, mehr als ein „gelber Engel“, hilft in den Pleiten und Pannen des Lebens die richtige Richtung zu gewinnen, der Helfer, auf den man sich verlassen kann, wenn die anderen einen schon lange verlassen haben.
Gott ist in Christus durch seinen Heiligen Geist
3. In unserer Mitte gegenwärtig
Das ist die Botschaft von Pfingsten, dass Gott nicht weggeht, nicht von unserer Seite weicht, in seinem Heiligen Geist mit uns durch die Wüsten und Höllen dieser Welt wie auch über ihre Sonnenwiesen geht. Da ist ein Geist, in dem Gottes Treueversprechen lebendig ist, so lebendig, daß es uns helfen kann, die Welt zu einer besseren Welt zu formen, so lange sie steht. Es ist ein Geist, kein Gespenst, das mit uns geht, ein Geist der uns beflügeln oder bremsen kann – mitreisen zu den Abenteuer des Glaubens oder stoppen bei allzu hohem Seegang. Es ist der lebendige Atem Gottes, der alles, was lebt, verwandelt – mindestens den, der das glauben kann. Es ist keine neue Denkrichtung, der man sich anschließen kann oder stille Überlegung, aufgrund der sich eine neue Folgerung ergibt. Der Heilige Geist offenbart sich. Er bewegt den, der das glauben kann, hin zur Erkenntnis.
Der Theologe Stählin sagt: „Man kann diesen Geist nicht kennen, ohne ihn zu haben, denn man vermag immer nur das wirklich zu erkennen, woran man lebensmäßig Anteil hat.“
Christus bleibt wirklich und wirkungsvoll in unserer Mitte. Das ist die Fortsetzung von Weihnachten und Ostern gleichermaßen. Er geht nicht weg von uns, selbst wenn wir selber zum Weglaufen sind. Im Heiligen Geist Gottes hält uns Christus aus, in unserem Chaos und gegen den Schein, und macht uns gerecht in Gottes Angesicht. Im Heiligen Geist wird unser Leben zur Wirkungsstätte Gottes heute, nicht zum Schauplatz historischer Erinnerung damals. Gott steht heute an meiner Seite, er wirkt heute mit mir, an mir und durch mich. Gott tröstet mich heute. Da muss ich mich gar nicht vertrösten, nicht einmal auf ein Leben nach dem Tod, weil Gottes Geist heute schon in mir voll aktiv ist. Er ist in unserer Mitte gegenwärtig. Das bedeutet: Ich muss nie mehr allein sein, für immer und ewig.