-Br. Markus – Jesaja 5, 1-7
Das Lied vom unfruchtbaren Weinberg
Es hätte sollen ein richtig großer Wein werden – unverkennbar, mit schwarzer, ins Violett gehender Farbe, starkem Kirscharoma und weichen, schlanken Tanninen, voller Veilchen Nuancen, dazu Minze, Edelholz und orientalische Gewürze, dicht und rauchig am Gaumen, reif und feinwürzig am Abgang. Einfach nur lecker hätte er werden sollen, um zu Tische ein eleganter Begleiter zu sein.
Nichts von alldem ist er geworden, nicht einmal mittelmäßig, nicht einfach nur langweilig, sondern missglückt, buchstabiert wie missraten. Es ist ein trauriges Lied, frustriert sogar, voller Enttäuschung über das, was hätte so schön sein können, aber nicht geworden ist. Die Ballade vom Weinberg ist ein melancholischer Blues, von Gott selber zu Gehör gebracht, um Antwort zu finden auf die Frage, was zu tun ist mit einem Weinberg, der alles ist, nur das nicht, was er sein soll: fruchtbar.
1. Winzer mit Vision
Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe, und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben …
Gott tritt als Winzer auf, nicht, um die Welt zu bespaßen oder zu unterhalten, sondern um in diesem Bild klar zu machen, wie er tickt. Es geht um seine Selbstdarstellung, die Erklärung seines Wesens. Wie ein Tag der offenen Tür, bei dem zu sehen ist, wie eine Firma ist und funktioniert. Gott will uns zeigen, wie er tickt. Die Welt ist nicht zufällig, belanglos oder dubios. Gott verwirklicht sich in ihr. Er ist der Winzer mit Vision, die Erde mit allem, was sich dreht, der Weinberg – also nicht der Sandkasten, in dem jeder nach Belieben baut oder zerstört. Die Welt – ein Weinberg, der als Weinberg gedacht und gewollt ist, mit nur einem klaren Ziel: ein Ort der Frucht zu sein, ein Ort des Reifens, ein Ort des Wachstums, ein Ort zu blühen, ein Ort des Gedeihens. Dabei ist nicht nur an Salat, Radieschen oder Zierkohl gedacht. Gott formuliert seine Vision klar aus, so klar wie den Leitgedanken eines Konzerns. Wenn er an Frucht denkt, denkt er nicht nur an Himbeeren, sondern weit darüber hinaus.
Es geht also weniger um den Vino Nobile di Monte Pulciano als um Recht und Gerechtigkeit. Gott schuf die Erde nicht als Planet der Affen, sondern als Stern der Gerechten. Wir sind dazu bestimmt, unseren Stern zum Glücksstern zu erheben, als Weinberg, in dem wir wachsen und fruchten sollen, zu Früchten der Gerechtigkeit reifen. Das Leben der Menschen soll voller Trauben sein, voll Trauben der Gerechtigkeit Gottes, gekeltert zum großen Wein. Gott spricht sein Ziel klar aus. Alles, was er tut, folgt diesem Ziel. So will er auch, dass Gottesdienst und Glaube sich in diese Frucht verwandelt: Recht und gerecht zu sein. Gott vertraut seine Idee Israel an, damit sie sich in der Welt verwirklicht, später uns, der christlichen Gemeinde. Was Kirche ist und tut, steht unter diesem Leitimpuls, genießbare Frucht zu sein, großer Wein.
Es ist nicht die Frage des persönlichen Ermessens, was gerecht ist und was nicht, sondern es gibt dafür klar festgelegte Maßstäbe, in denen der einzelne durchaus weite Gestaltungsmöglichkeiten hat, getragen und gebündelt in einem gemeinsamen Ziel, unseren Planeten zum Stern der Gerechten zu formen, ihn zum Blühen zu bringen und nicht zum Welken.
Gott will genau das Gegenteil von
2. Missratenen Trauben
Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe da war Geschrei über Schlechtigkeit. (….) Was hätte ich dir mehr tun sollen und tat es nicht (…) Du aber brachtest mir bittere Trauben. heißt es an anderer Stelle.
Gott schaut in die Welt mit großen Augen. Er will was sehen von dem, was gewachsen ist durch unser Singen und Beten. Die Traube unseres Betens müsste Gerechtigkeit sein, schön anzusehen und gut zu genießen. Die Frucht allen Singens gerechtes Leben. Wo das anders oder nicht ist, spricht Gott von bitteren Trauben oder, anders übersetzt Stinkzeug. Gott selbst prangert einen Stinkzeugglauben an, nicht dezent und leise, verständnisvoll und zart, sondern laut und scharf. Gott singt den Song von der missratenen Frucht, lautstark, eben weil es ihm das Herz bricht.
Jeder, der schon mal im Sommer einen Garten umgegraben hat, weiß, wie das ist, wenn statt Radieschen oder Salat nur Unkraut sprießt. Gottes Frustblues ist ein hammerharter Aufschrei über missratene fromme Lebensgestaltung, aber nicht allein – auch über ein missratenes Wertesystem in der Welt. Der Störenfried-Song, zu Gehör gebracht durch einen Störenfried, Jesaja, gesungen in einer Welt, die ihn nicht hören will, aber trotzdem braucht. Gott ist ein Gott des Aufschreis über missratene Gerechtigkeit. Er trägt sie nicht still, er schreit auf in vielen Formen. Er schreit an gegen den erdrückenden Sturm der Umnachtungen, gegen die düsteren Wolken des Lügens und Betrügens, die über Land ziehen. Er schreit an gegen alles, was über uns niederprasselt an Hass, Krieg und Gewalt. Gott schreit an gegen eine ach so übermächtig wirkende Dunkelheit. Recht und Gerechtigkeit sind dabei nicht das, was der cleverste Jurist daraus macht.
Ich habe im Winter die Gedenkstätte Grafeneck besucht. Da wurde juristisch korrekt gemordet. Zehntausend behinderten Menschen wurde juristisch korrekt der Gnadentod gewährt. Es lohnt sich, die Dokumentation genau durchzulesen. Fast ganz Dettingen wurde ausgerottet im Namen der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
Man muss nicht bis ins Extrem gehen, um bittere Trauben zu finden. Alles, was der Mensch ohne Maßstab anstrengt, läuft Gefahr, zur missratenen Frucht zu werden, zum Stinkzeug. Es hört sich ja immer gut an, wenn man sagt, dass es ausreicht, vor sich selber gerade zu stehen. Aber genau das reicht nicht aus. Die größten Verbrechen der Menschheit wurden verbrochen im Glauben, das Richtige zu tun. Töten im Namen Gottes, Stehlen für die gute Sache, Hexen verbrennen – wenige Menschen gehen mit dem Vorsatz los, etwas Falsches zu tun. Gerade die frommen Verbrechen passieren in dem Glauben, das Richtige zu tun. Unser Rechtsverständnis ist oft zu befangen und zu klein, um zu sehen, was wirklich Recht ist.
Spätestens wenn mein persönliches Wohlergehen irgendjemand anders einen Nachteil bringt, ist mein Lebensstil Stinkzeug, bittere Traube. Wenn ich schon vor mir selber gerade stehe, muss ich diesen Meterstab verwenden, nicht um mit mir selber großzügig und mit anderen kleinlich zu sein. Schadet mein Lebensstil, mein Geschäftsgebaren, meine Freizeitgestaltung oder mein Frömmigkeitsstil anderen? Bin ich Belastung oder Entlastung für andere? Diesen Fragekatalog will Gott aufschlagen. Gott schreit über alles auf, was die Waage ins Ungleichgewicht bringt. Das Lied vom Weinberg ist ein sehr dramatischer Song, weil er die dramatische Entwicklung kenntlich macht.
Gott singt dieses Lied aber nicht mit dem Ziel, zu verurteilen, sondern er will erschrecken wie wachrütteln, so, wie der große Trommelwirbel zwischen dem ersten und dem zweiten Vers.
In seinem Lied fordert er ein
3. Urteil der Angeklagten
Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg. (…) Warum hat er schlechte Trauben gebracht?
Der Winzer mit Vision betritt juristisches Neuland. Er fordert die Angeklagten zu einer Doppelrolle – als Angeklagter sich selbst ein Urteil zu sprechen. Ich wünsch mir so was ja immer bei Verkehrsdelikten. Also wegen zu schnellen Fahrens würde ich mich immer frei sprechen. Die Verkehrsschilder sind heutzutage sowieso so schlecht anplaziert, da weiß man ja nie so genau, welche Spur eigentlich gemeint ist mit dem drögen Tempolimit.
Wer sieht den eigenen Lebensweg schon gerne als Stinkzeug oder faulige Traube. Es tut doch weh, zu bemerken, dass ich nicht so toll bin, wie ich von mir dachte. Der Theologe Voigt sagt: „Die Gnade entlässt uns nicht ins Unverbindliche, ins Beliebige, in die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind.“
Was also soll ein Winzer tun, der nicht zu seinen Früchten kommt, einer, der sich abgeplagt und geschunden hat und vor dem Totalversagen seines Weinbergs steht? Nun, ihr Bürger der Buchhalde oder Metzingens, urteilt über mich und meinen Weinberg. Natürlich, wir können es dieses Jahr noch einmal mit einem neuen Spritzmittel probieren, einem stärkeren Dünger oder kräftigerem Rückschnitt. Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will. Zaun wegreißen, kahl fressen, Mauer einreißen, zertreten, wüst liegen lassen, den Wolken das Regnen verbieten.
Juristisch gesehen unmöglich, was Gott da macht, voller Beeinflussung. Es ist keine leere Drohung. Das Lied vom Weinberg ist ein Lied voller Grimm Gottes über missratenes Leben. Dieser Grimm Gottes endet auch an Karfreitag nicht. Gottes Wut über das Stinkzeug ist ewig. Er lädt sich die fällige Zerstörung nur selber auf.
Gott zerstört sich in Christus selbst, um dadurch den neuen Anfang zu schaffen. Christus trägt den Grimm Gottes für uns aus. Davon lebt die Kirche und alle, die es schaffen, sich im Gleichnis vom Weinberg wiederzuerkennen.