-Br. Markus – Kolosser 2, 12-15
Wozu bin ich? Jeder Mensch stellt sich die Frage – früher oder später, am Anfang oder am Schluß, nicht nur einmal, immer wieder, jeden Tag neu, lebenslänglich.
Wozu bin ich geboren? Der griechische Dichter Sophokles kam 500 Jahre vor Christus zu einer erstaunlichen Erkenntnis. Sie lautet: „Nicht geboren zu werden ist weit das beste.“ 500 vor Christus, das war vor der griechischen Finanzkrise. Nicht geboren zu werden, sei weit das beste – es wäre ja soweit ganz lustig, gäbe es diese Einstellung heute nicht mehr. Wir könnten sie amüsiert im Museum betrachten. Aber auch heute, zweieinhalbtausend Jahre später, trifft man Menschen, die so empfinden. Heute noch fühlen sich Menschen falsch, zu falschen Zeit, am falschen Platz, im falschen Körper. Hunderttausende Abtreibungen zeugen davon, dass nicht geboren zu werden weit das beste scheint. Wozu bin ich? Bin ich, um nicht geboren zu werden?
An Ostern bekommt diese Frage eine neue Antwort. Sie ist genau das Gegenteil von der griechischen Denkweise.
1. Wenn der Tod tot ist
Mit ihm seid ihr begraben worden in der Taufe; mit ihm seid ihr auch auferweckt durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. 13 Und Gott hat euch mit ihm lebendig gemacht …
Mit ihm – durch die Taufe, Seite an Seite mit Christus. Die Taufe macht seine Auferstehung zu meiner Auferstehung. Wir sind auferstehungsfähige. Auferstehung ist unser Schicksal, Auferstehung ist der Plan – nicht abzusterben und zu welken, sondern erst richtig zu blühen, dann, wenn alles zu Ende scheint, der Tod nicht mehr ist, nicht für den Augenblick, nicht nur als Traum. Nicht um zu siegen oder zu verlieren, nicht um zu hungern oder zu feiern, zu weinen oder zu lachen, sondern zum aufzuerstehen bin ich. Ich bin dazu geschaffen, unverwüstlich zu sein, unauflöslich, schlimmer noch als eine Plastiktüte. Ich bin, um ein Unsterblicher zu sein, ein unkaputtbarer Mensch in Gottes Raum. Ich bin, um ein Ewiger zu sein, ein richtig Wichtiger in Gottes Arm, ein atmendes und lebendes Wesen, nicht ein verwesender Stein. „Mit Christus“ heißt lebendig sein, jenseits begrabener Hoffnungen, Wünsche und Träume, jenseits der Urne, jenseits des Grabsteins. Christus ist der Urknall des Lebens, des unendlichen Lebens, das sich in die Zukunft ausbreitet, in den nicht messbaren Raum. Dazu bin ich, um Teil dieses Lebens zu sein, das nie endet – nicht, um in einer Kiste zu verrotten, sondern um lebendig zu sein, jenseits von Zeit und Raum. Ich bin geboren, um Zukunft zu sein, Christus in mir. Ich bin geboren, um niemals aufzuhören, ich selber zu sein in Christus allein. Gott will, dass ich werde, nicht dass ich verwehe.
Es geht um ein Leben aus ganz anderer Sicht. Gott will wirkliches Leben durch mich verwirklichen, in mir und mit mir. Das ist sein Traum, meine wahre Bestimmung, das Ziel, der Sinn. Er will Erfüllung sein im Hohlraum meiner selbst. Er will alles sein in meinem Nichts. Er will das Beste sein, das mir je passiert ist. Deshalb tritt Christus dem Sterben in den Weg. Mit ihm sterben die Schatten meiner Vergangenheit. Mit ihm stirbt meine dunkelste Seite. Mit ihm stirbt mein tiefster Abgrund. Mit ihm stirbt mein Chaos. Mit ihm stirbt mein Unvermögen. Mit ihm stirbt meine innere Leere, meine unstillbare Gier nach Erfüllung, die Kälte, die nach mir greift. Wenn der Tod tot ist, entsteht eine neue Phase, eine ganz neue Zeit, die Phase danach, die Phase mit starker Wirkung.
Wenn der Tod tot ist
2. Bleibst du nicht mehr, der du bist
14 Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn aufgehoben und an das Kreuz geheftet. ´
Fast klingt es wie im Märchen. Schön wär’s wenn es sie nicht gäbe oder nicht mehr gäbe, die Schuld von Menschen. Aber leider ist es eben nicht. Paradies 21 ist nicht. Schuldbriefe werden jeden Tag neu ausgestellt, morgen wieder. Am 9. März 2018, übermorgen spätestens werden wir schuldig, obwohl wir mit ihm unterwegs sind, jeder von uns. Christus verwandelt uns nicht in Götter. Christus verwandelt nicht in Menschen ohne Macken. So einfach ist es eben nicht. Es geht um den Schuldbrief, Schuld als Schuld zu erkennen und zu benennen. Es ist eben nicht die Erfindung der Kirche, dass Schuld entsteht. Schuld entsteht wider besseres Wissen oder mit bestem Wissen. Jeder, der ehrlich zu sich selber ist, muss das zugeben. Es gibt Augenblicke, in denen man das Falsche tut, ob man will oder nicht. Das abzustreiten, wäre Selbstbetrug. Gerade da, wo man geglaubt hat, das Richtige zu tun, fällt es schwer, zu bemerken, dass es falsch war. In der Zeit des Paulus musste im Schuldbrief die eigene Zahlungsunfähigkeit zugegeben werden, handschriftlich.
Christus macht nicht makellos. Er hilft, mit den Macken umzugehen – zuallererst darin, dass ich mich nicht schönrede, nicht vor mir und auch nicht vor anderen, im Gegenteil. Christus macht mich aufmerksam und ehrlicher mit mir. Schuld bleibt Schuld, wo sie geschieht. Es ist nicht das Modell Gottes, redet man von Ausrutschern, kleinen Pannen oder einfach mangelnder Vollkommenheit. Schuld ist immer das, was geschieht, wenn ich meine Grenze zu Lasten eines anderen überschreite. Die Kraft der Erlösung kommt nur da zum Zug, wo ich mich erschüttern lasse. Die Kraft der Erlösung braucht mein Eingeständnis, die Christuserschütterung über mich. Es geht dabei nicht um religiöse Rituale oder große fromme Gebärden. Es geht um den inneren Vollzug, den Schuldbrief zu schreiben, nicht aus Angst oder Krampf, sondern im Vertrauen, das es gerade dadurch besser wird, besser weitergeht. „Ich hab schon wieder Mist gebaut“ klingt da viel besser als „Die anderen sind schuld“ oder „Ich hab doch bloß und wollte doch nicht.“ Christus will, dass wir wirklich leben, in der Wirklichkeit unserer Schuld wie in der Wirklichkeit seiner Vergebung. Wo Schuld nicht wirklich erkannt wird, kann sich Vergebung nicht wirklich verwirklichen. Neues Leben aus neuem Material verwirklicht sich nur in der Kraft der Vergebung von erkannter und zugegebener Schuld. Schuldbriefe, die es nicht gibt, kann keiner ans Kreuz nageln oder tilgen. Mit ihm werde ich mutig genug, meinen Schuldbrief zu schreiben. Das ist die wichtigste Veränderung meines Lebens. Mit ihm lerne ich schreiben, schreiben, dass ich es war, der daneben liegt. Mit ihm finde ich Kraft, auszudrücken, was eh jeder weiß, dass ich es war. Ich bin so frei, keiner zwingt mich. Es bringt nix, vor Gott so zu tun, als sei nie was gewesen. Das funktioniert weder bei ihm noch bei mir. Selbst die Fehler, die wir nicht bemerken, können schwere Folgen haben, die Schatten werfen lebenslänglich. Jeder muss im Schatten seiner Fehler und der Fehler anderer das Leben lernen, egal, wo es geschieht. Fehler unterbleiben nicht, sie verändern nur ihre Wirkung: In der Kraft der Auferstehung ist mein Irrtum nicht mehr tödlich.
Wir sind
3. Unterwegs zu einem neuen Sein
15 Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert in Christus.
In Christus feiert Gott einen entscheidenden Triumph. Sein Triumph ist das wirkliche Leben, das Leben, das nicht mehr überschattet ist von Entgleisung, Zweifel und Schuldscheinen, ein Leben, das ganz frei ist, frei, um einfach nur zu sein. Es reicht hinein in unsere Welt, gibt ihr den entscheidenden Impuls der Hoffnung. Gott startet neu. Inmitten unserer Zeit startet ein neues Leben ohne Ende, ohne Hass und Zerrüttung, Zerstörung und Entfremdung. Man muss nicht noch mal 20 sein, um alles anders oder besser zu machen. Neues Leben bringt Erfüllung in entleerte Räume hinein. In leeren Räumen wird Erfüllung erlebbar, jetzt und heute noch. Mit ihm beginnt sich diese Zukunft zu verwirklichen. Wirkliches Leben ist mehr als nur der zweite Versuch. Es ist der letzte und endgültige Schritt Gottes, reicht in meine Schatten hinein, blendet die Schatten nicht aus, durchstrahlt aber und wärmt. Christus erfüllt unseren Lebensraum. Das hilft, neu sehen lernen, neu denken lernen, neu reden lernen, neu leben, wirklich leben in der Verwirklichung seiner Gegenwart. Christus hilft mir, mich in die Neuheit dieses Lebens zu verwandeln. Darin findet mein Leben statt, wird zum ewigen Ereignis. Ich bin der neue Mensch, der ich sein werde, neu geboren, um erfüllt zu sein, erfüllt von Gottes Lebenstraum. Es darf gerne etwas mehr sein, mehr, als ich mir denken kann, mehr als nur der Augenblick, in dem keine Uhr mehr tickt, keine Zeit vergeht, weil es sie nicht mehr gibt, abgeschafft zugunsten einer völlig neuen Form. Ich bin Teil von diesem Augenblick des Christus in mir. Meine Gegenwart ist so Vergangenheit wie Zukunft gleichermaßen.
Wenn ich ein alter Grieche wäre, würde ich dann sagen: „Neu geboren werden ist das Beste.“ – und zwar geboren, um wirklich zu leben.