-Br. Markus – 1. Mose 4, 1-16
„Nach dem gewaltsamen Tod eines 10 Jahre alten Mädchens in Mannheim sitzt die Mutter in Untersuchungshaft. Es besteht der dringende Tatverdacht, dass die 38-jährige ihre Tochter in der Nacht zum Freitag in ihrer Wohnung mit mehreren Messerstichen getötet habe.“ teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit.
Mord – es gibt Fälle, da kann man es vielleicht verstehen, in anderen eher nicht. Was läuft schief zwischen zwei Menschen, dass man sich nicht anders zu helfen weiß, als den anderen auszuknipsen, wie man eine lästige Schnecke zertritt?
Kain und Abel – der Brudermord, Mord aus niedrigen Beweggründen (auf einmal bist du nicht mehr da.) Ein Moment, in dem ein Mensch glaubt, unbeobachtet zu sein, tun und lassen zu können, was er selber will, allein.
1. Schuld, die wirklich Schuld ist
Kain schlug seinem Bruder vor: Komm, wir gehen zusammen auf’s Feld. Als sie dort ankamen, fiel er über Abel her und schlug ihn tot.
Hinterhältig, brutal und gemein – ein Mensch ist tot, auf unnatürliche Weise um’s Leben gebracht, kalt gemacht. Gott selbst sei schuld, sagen die Atheisten. Es gäbe keinen vernünftigen Grund, das Opfer von Kain anders zu behandeln, als das von Abel. Wenn es keinen Gott gegeben hätte, gäb es keinen Brudermord. So ganz ohne Gott wär die Welt dann in Ordnung. Tatsache ist, dass heute noch, mit oder ohne Gott oder irgendwelche religiösen Überzeugungen, gemordet wird. Völkermord – Massenmord- Rufmord – Brudermord – Abtreibung und Krieg – Tötung auf Verlangen.
Man muss also ziemlich naiv sein, wollte man Gott die Schuld für diesen Mord geben, der in einer Zeit passiert, in der das Gebot „Du sollst nicht töten“ noch nicht geschrieben steht. Woher sollte es der Bauer also wissen? War er etwa im rechtsfreien Raum? Ist er da nicht unschuldig, wenn er vom Gebot nichts weiß? Wenn es Gott nicht gibt, gibt es ja auch das Gebot: Du sollst nicht töten! – nicht. Ist so eine Welt dann besser? Schuld ist Schuld. Schuld bleibt Schuld – dort, wo sich ein Einzelner Rechte herausnimmt, die höher zu sein scheinen, als die Rechte der anderen. Schuld ist keine Erfindung der Kirche. Schuld ereignet sich von selbst – vollautomatisch – überall dort, wo Menschen sind, miteinander unterwegs. Schuld entsteht nicht nur im Missachten göttlichen Gebots, sondern auch im Missachten des anderen, in der Überbetonung meiner selbst. Es ist das Phänomen von Sünde, das die Bibel „böse“ nennt, das Menschen zu dem macht, was sie eigentlich nicht sind: mordende Bestien. Schuld ist Schuld – wo einer übergriffig wird, aus welchen Motiven auch immer. Spätestens, wenn einer tot ist, lässt sich nichts mehr diskutieren. Der Tod ist endgültig – das ist nicht gut.
Gott allein nimmt sich heraus, Rechte über Leben und Sterben zu besitzen, Herrscher über Leben und Tod zu sein. Jeder Eingriff in dieses Gottesrecht ist Schuld. Ich hab auch noch niemand kennengelernt, der sich gefreut hat, im Krieg auf jemand schießen zu dürfen. Wer das wirklich hat müssen, hört sich ganz anders an, wird von Gott auch anders bewertet. Im wirklichen Leben ist kein Platz für Ballerspiele. Die Schuld, die Gott bei Kain reklamiert, ist aber nicht der Mord, sondern, dass er seine Bestimmung verfehlt hat. Gott hätte von Kain sehen wollen, dass er über seine Mordlust hätte herrschen können. Der erste Schöpfungsauftrag ist Herrschaft über die Sünde. Dieser Knochenjob ist bis in unsere Tage Gottes Idee.
Genau dieser Prozess findet im Kopf statt. „Macht euch die Erde untertan“ heißt nicht, dass man sie ausbeute, sondern zu allererst, sich die niedrigen Beweggründe untertan zu machen. Beide Brüder sind dazu geboren, über das eigene Empfinden zu herrschen. Die Schuld, die wirklich Schuld ist, kreidet Gott dem Kain dick an: dass er sich nicht beherrschen kann, dass er ein Sklave seiner Wallungen, seiner Mordlust ist. Das ist es, was Gott bei Kain anmahnt. Der Gedanke daran hat bei Gott das viel höhere Gewicht, als die Tat selbst.
Damit sind wir bei
2. Dem Killerfaktor Gefühl
Da wurde Kain zornig und starrte mit finsterer Miene vor sich hin.
Es fühlt sich eben schlecht an, wenn man zurückgesetzt wird. Das geht allen so. Was passiert denn, wenn Gott unser Opfer verschmäht? Das fühlt sich an wie Zurückweisung – und wer von uns wäre stark genug, Zurückweisung zu ertragen?
Ich habe schon Kunden erlebt, die wurden von der Frau mit dem Blumenstrauß zurückgeschickt, den sie für sie mit bester Absicht gekauft hatten. Wenn da keine Mordlust aufkommt, muss einer als Kühlschrank geboren sein. Kein Mensch kann Zurückweisung wirklich ertragen. Ich kenne keinen. Da gibt man sich Mühe und kriegt ne kalte Dusche als Dank – na Mahlzeit. Irgendwie doch normal, dass da Mordlust aufkeimt. Gekränkte Gefühle, Konflikt zwischen Kopf und Bauch. Es geht um die Schmetterlinge im Bauch, die den Menschen auf die höchsten Höhen tragen oder in die tiefsten Abgründe stürzen können. Die Schmetterlinge von Kain waren eher mörderische Falter. Gefühl – gerade darin unterscheidet sich christliche Weltanschauung vom radikalen Feminismus: in der Bewertung des Gefühls. Gefühle haben alle, Männer wie Frauen gleichermaßen. Der Feminismus predigt: Tue, was Dein Bauchgefühl sagt. Die Bibel will etwas mehr. Sie will nicht nur Gemeinsamkeit von Verstand und Gefühl, sie will darin eine Hierarchie. Gott will den Mensch auch nicht als trockenen Verstandesmensch, sondern als einen gut Ausbalancierten zwischen Gefühl und Verstand.
Den Schöpfungsauftrag kann nur der wahrnehmen, dem Beherrschung von Sünde gelingt – zuerst in einer klaren Hierarchie von Kopf zu Bauch. Selbst wenn man das Gute wirklich will, muss man’s ja erst noch zur Tat werden lassen – was manchmal noch viel schwieriger ist. Kain gibt seinen Gefühlen nach. Er lässt seinen Frust herrschen, schreitet gefühlsgeladen zur gefühlsgesteuerten Tat. Es ist ein unsichtbarer Vollzug, der aus Menschen Mörder macht.
Dabei muss es nicht immer nur Mord sein. Die Angst, zu kurz zu kommen, am Ende der Dumme zu sein, ist nur eine der vielen Panikattacken, mit der der eine oder andere sein Leben hoffnungslos in den Sand gesetzt hat. Sichtbarer Schaden aufgrund unsichtbarer Gedanken – sie finden im Kopf statt.
Nicht umsonst sagt Christus in der Bergrede, daß schon die Sünde in Gedanken Sünde ist, weil sie die Tat bereits kalkuliert, der Handlung vorauseilt. Ein Reinschliddern in irgend etwas kennt die Bibel nicht, weil Gott um die Bauart des Menschen weiß. Gott weiß, dass der Mensch Hirn hat. Gott weiß, dass der Mensch Schmetterlinge im Bauch hat. Gott weiß, dass man beides bewusst und sinnvoll verbinden kann. Deshalb lässt er oberflächliche Ausreden nicht zu. Die Gedanken sind eben nicht frei. Der Gedanke an Mord führt eben nicht zur Sozialarbeit im Krankenhaus, sondern zum Mord. Nur dem Menschen, dem es gelingt, zuzugeben, dass der Gedanke an eine kleine Schlitzohrigkeit die wichtigste Grundlage zu deren Umsetzung ist, kann ernsthaft etwas dagegen tun. Es gibt einen Zusammenhang vom Plan zur Tat. Es geht der Bibel dabei nicht um blütenweißes Denken oder eine gläserne Fantasie. Gott will ein völlig neues Kopfklima. Gott will eine klare Verantwortung für unsichtbare Schaltungsvorgänge in unserem Kopf. Gott will den Mensch nicht mit einer klinisch sterilen Gedankenwelt, aber er will Hygiene des Denkens. Er will, dass wir bewusster denken und bewusster fühlen. Beherrschtes Denken ist ein Schöpfungsauftrag.
Gemeint damit ist die richtige Flugbahn für die Flügel der Fantasie. Man kann sie schwingen, um dem anderen eine Freude zu bereiten, oder um ihn zu hintergehen. Man kann vertrauen oder beargwöhnen. Man kann bauen und pflanzen oder abmurksen. Der Frühling im Hirn findet dann statt, wenn es gelingt, die mörderische Bahn zu unterbrechen, auf der die Mordlust fährt. Vor Gott ist sie offenbar: Unsere inneren Vollzüge, alles Denken, Planen und Streben, das, was uns zum Tun treibt, was uns wirklich bewegt, was sonst keiner sieht. Der Mord offenbart Kain’s Mordgedanken.
Er findet vor Gott eine harte Strafe, aber auch
3. Gottes Rechtsschutz
Gott tötet den Mörder nicht. Er schaut aber auch nicht tatenlos zu. Er lässt den Dingen nicht einfach ihren Lauf. Er hat eine Antwort. Seine Reaktion ist harte Strafe wie Rechtsschutz zugleich. Er sperrt den Mörder nicht ein, sondern aus – aus menschlicher Gemeinschaft. Zum Ruhelosen, Schweifenden, Umhergetriebenen und Heimatlosen soll er werden. Zum anderen soll er unantastbar sein durch ein sichtbares Zeichen, das Gott an ihm setzt. „Das vergossene Blut deines Bruders schreit von der Erde zu mir.“ sagt Gott.
Vor einem irdischen Gericht wär da gar nichts passiert, denn wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Für Gottes Justiz gilt eine andere Betrachtungsweise. Das Unheil, das geschieht, klagt sich selbst an. So gibt es keine Schreie, die ungehört verhallen – auch dann nicht, wenn die Welt das anders wahrnimmt. Der Gott, der unser Denken bewertet, sieht und erlebt alle kleinen und versteckten Tode, die gestorben werden – hinein bis in unsere Zeit. Er sieht, was geschieht, verzichtet nicht auf Strafe, weil Strafe für ihn mehr ist als gesellschaftliche Rache. Sein Strafvollzug ist immer ein Vollzug auf Hoffnung, die trotz allem eine Zuwendung ist. Gott geht über den berechtigten Wunsch nach Genugtuung einen Schritt hinaus. Er lässt den Täter leben – wenn auch nicht ungestraft.
In dem Lebenlassen steckt bereits in den Anfängen der Bibel ein Schatten von der Gnade, die Christus heißt. Gott lässt leben, weil er lebenslängliche Umkehr will. Gott lässt leben, weil er lebenslange Besinnung will. Gott lässt leben, weil er lebenslänglich an uns glaubt. Indem der Mensch sein Unrecht als Unrecht akzeptiert, liegt die einzige Möglichkeit für eine gemeinsame Zukunft. Allein in der Kraft des auferstandenen Christus kann der Schöpfungsauftrag gelingen, die Mordlust zu besiegen, wenn sie in uns aufsteigt. Das findet nicht nur im Kopf statt, sondern auch und gerade in der Eucharistie, in der das, was im Kopf stattfindet, eine völlig neue Richtung findet.