Du darfst

– Br. Markus – Tim. 4, 4-5

„Einer geht noch“ ist so was ähnliches wie mein Lebensmotto. Nicht, was Sie denken, auch nicht die Sahnetorte, ne – es geht um den 7. oder 8. Kaffee. Die allermeisten Medizinmänner und –frauen um mich herum warnen mich eindrücklich. Es sei nicht gut für mich und überhaupt müsse man weniger dies oder das esse oder trinken, wolle man an seinem 182. Geburtstag noch richtig fit sein. Gegrilltes auf keinen Fall! Zum persönlichen Wohlbefinden gehöre die vegane Glückskapsel, die einen richtig fit und zufrieden macht, erhältlich in Ihrer Internetapotheke – sagen sie. „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.“ sagt der heutige Predigttext und durchbricht damit viele Einengungen, die Menschen sich machen, nicht nur ernährungstechnischer Art. Es geht dabei nicht um einen Freibrief für ungebremste Völlerei oder um einen Psycho-Power-Plan. Es geht um eine grundlegende Lebenseinstellung, die viel mit Genießen zu tun hat.

Es geht um unseren Schöpfungsauftrag, Gott zu genießen, das Leben zu genießen und alles, was er geschaffen hat.

 

1. Weil ich ein Geschenk bin

Alles, was Gott geschaffen hat

Es ist immer eine Frage von unserem Selbstverständnis. So manch eine Depression wurzelt in der Erkenntnis, dass der Mensch ein dummer Zufall kurz hinter Affe & Co. ist. Wenn ich meinen Planeten und mich als dummen Zufall verstehe, muss ich mich logischerweise selbst als Zufallsprodukt begreifen, beliebig, als gute oder weniger gute Laune der Natur. Das prägt mich, mein Selbst, mein Denken, mein Leben. Entdecke ich mich selbst als Gottes Absicht, als geliebtes und gewolltes Wesen, sieht die Welt ganz anders aus. Nicht umsonst ist die Frage nach den eigenen Wurzeln immer prägend für ein Leben. Sie und ich, wir sin  Gottes Absicht, winziger Teil jenes unendlichen Alls, Teil des Ganzen, Teil von allem, was Gott geschaffen hat. Ich bin Gottes Geschenk – nicht nur so, für sich allein und zum Selber-dran-freuen, das sicher auch, aber nicht nur. Ich bin für mich gemacht, aber auch für die anderen, für diese Welt, für alles, was atmet und lebt um mich herum und zuallererst auch für Gott. Ich bin nicht einfach nur so, egal woher ich komm und wohin ich geh, sondern ich bin konkret, so, wie nur ich bin, rede oder denke, für ein konkretes Ziel, zu sein. Die Erde ist um ein unverwechselbares Exemplar reicher, schöner und wertvoller durch mich. Zugleich ist sie dadurch auch schwieriger, nerviger und anstrengender geworden. Das macht aber nix, denn ich bin in ihr Teil eines mich übertreffenden Plans. Gott will mich, mich allein, so wie ich bin, um Teil von allem zu sein, alles zu machen, zu formen und zu wagen.

Ich bin ich – das kostet nix, weil es Gottes Geschenk an mich und die Welt ist. Ich darf, ohne zu zahlen, sein. Der Glaube an Gott hilft mir, das zu erkennen, Gottes Handschrift in mir zu sehen, mich selbst so zu begreifen und daraus eine der wichtigsten Lebenseinstellungen zu entwickeln: die Dankbarkeit. Ich bin ein Geschenk – das ist wirklich unglaublich, aber wahr. Auch wenn ich mich nicht wie ein Geschenk anfühle, ist es Gottes Wahrheit mit mir. Selbst, wenn ich im Knast ende oder am Galgen, bin ich Geschenk, auch dann, wenn ich es im Sarg noch nicht begriffen habe. So wie ich ist sonst keiner. Das ist so Gottes Absicht. Das ist das total Verrückte daran, und dass ich es entdecken und glauben und genießen kann.

Deshalb

2. Genieße ich

Alles ist gut, nichts ist schlecht.

Nur wer sich selbst genießt, kann Gottes Schöpfungsauftrag wahrnehmen. Wer mit sich selber nicht im Reinen ist, vollbringt möglicherweise beachtliche, moralisch einwandfreie Leistungen, es bleibt aber eine Art Krampf. Gott will für Genießer sein. Er will Lebensfreude und Genuss. Dankbarkeit lässt sich nicht befehlen, und Gott will sie nicht befehlen. Dankbarkeit ist eine Empfindung, die man spürt, aus der man lebt oder eben auch nicht. Es geht um eine wahrhaftige Grundeinstellung, nicht um anerzogene äußerliche Höflichkeit. Es ist zuallererst wichtig, Gott zu genießen, bevor man dafür Danke sagen kann. Wäre es kein wirkliches Empfinden sondern nur anerzogene Höflichkeit, bliebe das Ganze eine wertlose Hülle. Dankbarkeit ist das Ziel, Dankbarkeit das Programm.

Alle Religionen dieser Welt, auch die moderne Psychologie, sind sich da einig, dass der dankbare Mensch glücklicher und besser lebt, als der undankbare. Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es aber den Unterschied. Es ist richtig, wir können nicht gleichzeitig wütend und fröhlich sein. Wenn wir jetzt die zehn schönsten Momente der letzten Woche aufschreiben, können wir damit tatsächlich die 50 unschönen Momente in den Hintergrund drücken, durch Fixierung auf das Angenehme das weniger schöne verdrängen. Moderne Psycho-Power-Pläne funktionieren so – und genau da ist der Unterschied, in den unangenehmen Dingen, die genauso da sind wie die angenehmen. Ich esse ein tolles Menü in einer Welt, an deren Unterkante Menschen hungers sterben. Ich genieße meine Freiheit in einer Welt, in der andere hinter Kerkermauern umkommen. Der eine erbt das große Vermögen und der andere einen Berg Schulden.

Wenn mich das böse Schicksal trifft, ist ein Psychoprogramm zu wenig, um mich wirklich dankbar zu machen. Ich finde nichts mehr, was gut und angenehm ist, mit dem ich das Unangenehme übertrumpfen könnte. Die raue Wirklichkeit zwingt mich zum Duell mit ihr. Die Dankbarkeit in Gott zeigt eben darin ihre große Kraft, dass sie gerade inmitten einer kaputten und zerstörten Welt überlebt. Schon klar, die glücklichsten Menschen der Erde leben in Dänemark oder Norwegen, wo es schon gewissen Wohlstand gibt. Dort, wo es angenehm zu leben ist, fällt es leichter. Die Dankbarkeit gegen Gott findet ihren eigenen Weg, versucht in schwer zu verstehenden Schwierigkeiten, Gottes Absicht darin zu finden – eben, weil wir wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, sondern auch ganz anders sein kann.

„Die Kuh sagt nicht danke zum Gras.“ sagt ein Sprichwort aus Haiti – weil sie davon ausgeht, dass es selbstverständlich ist, dass Gras da ist. In der Dankbarkeit gegen Gott wird man aufmerksamer für die scheinbar selbstverständlichen Dinge. Wenn die Ernte verbrannt oder verdorrt ist, muss einem klar werden, dass reicher Ertrag und pralle Früchte nicht selbstverständlich sind. Ein gelungenes Leben, eine lange Freundschaft, eine intakte Familie sind ja nicht selbstverständlich. Es kann eben auch ganz anders ausgehen, anders, als geplant.

Wer die Zuwendungen Gottes genießt, merkt, dass überhaupt nichts selbstverständlich ist und man überhaupt kein Recht auf irgend etwas hat, erst recht nicht darauf, erfolgreich, schön oder gesund zu sein.

Wer Gott genießt, wird

3. Für alles dankbar

… nichts ist schlecht, für das wir Gott danken.  Durch das Wort Gottes und das Gebet wird alles rein

Christliche Dankbarkeit wird immer konkret, wirkt sich im Leben aus, nicht nur darin, dass wir an Erntedank ein paar dicke Birnen oder Kürbisse auf den Altar legen und alles hübsch dekorieren. Das soll so sein und ist `ne tolle Sache, wenn pralle Beeren und reife Früchte gute Laune machen. Dankbares Genießen bleibt dabei aber nicht stehen. Es findet Ausdruck im Gebet. Unser Gespräch mit Gott soll nicht nur die Adresse sein für unseren Dank, sondern zugleich die Prüfstelle für das, was gut ist und was nicht. Wie viel gut ist und wie viel nicht, entscheidet sich in diesem Wortwechsel. Unsere Dankbarkeit bleibt nicht auf sich selbst gerichtet, sondern blickt hinaus, weitet den Blick für die Welt. Wer Gottes Sympathie genießt, genießt nie wortlos, sondern genießt fragend – zum Beispiel: Wie viel Porsche brauche ich, wenn anderswo auf der Welt noch Kamel geritten wird. Oder wie viel Armani oder Gucci muss sein, um mit den Unbekleideten und Frierenden dieser Welt noch mithalten zu können. Alles darf ich genießen, was sich betend genießen lässt.

Das ist berauschend viel wie auch erschreckend wenig – je nach dem, wo ich stehe. Ich darf und soll Genießer sein, Genießer der göttlichen Großzügigkeit. Mein Genuss soll ein heiliger Genuss sein – von allem und mit allem. Das weitet mich aus und engt mich ein durch mein Dankgebet, das ich spreche und lebe. Ich darf … – die faszinierende Freiheit genießen, soviel zu naschen, wofür ich noch guten Gewissens danke sagen kann. Das ist mehr, als ich glauben kann, und weniger, als ich vermag.

Ich entscheide selbst, wie viel und was. Es kann die doppelte Portion sein oder das halbe Maß, es kann alles oder nichts sein. Solang ich dafür noch danke sagen kann, darf ich das, weil: alles gut ist, was Gott geschaffen hat.

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