Heilige Zerrissenheit

Br. Markus – Römer 7, 14-25 a

Manche Menschen erwarten von ihrer Religion genau das Gleiche, wie von einem Schaumbad: Man legt sich rein und fühlt sich wohl drin. Mmmmm…. – tut richtig gut. Wenn möglich, mit Lavendelduft oder Maiglöckchen. Maiglöckchen geht auch. Es muss nur schön warm sein, gerne auch heiß, jetzt in der kalten Jahreszeit. Dafür hat man den Glauben doch, dass er einem gut tut – oder nicht? Man braucht schließlich was, an dem man sich aufrichten oder festhalten kann. Der Glaube soll hell sein, schön oder bunt, das Zerbrochene heilen, Tränen trocken und Freude bringen – oder nicht? Der Mensch braucht einen Traum, den er träumen kann, gerade wenn das wirkliche Leben so ganz anders ist. Da stört einer wie Paulus eher, wenn er darauf hinweist, dass der christliche Glaube etwas anders ist, dass er zwar Freude, Hoffnung und Licht bringt, aber eben auch heilige Zerrissenheit. Es geht um einen lebenslänglichen Konflikt, den Streit, der unverzichtbarer Bestandteil unseres Glaubens ist.

1. Zerrissen

15 Ich verstehe ja selber nicht, was ich tue. Das Gute, das ich mir vornehme, tue ich nicht; aber was ich verabscheue, das tue ich.

Es ist nie die Idee Gottes gewesen, den Menschen zu einem Zerrissenen zu machen, zu einem, der mit sich selber hadert und sich selber fremd geworden ist. Es ist eher eine Wirkung Gottes, dass der Mensch das Dunkle in sich bemerkt. Paulus ist einer, der mit felsenfester Gewissheit als Saulus andere verfolgt und gejagt hat, im festen Glauben, das Richtige zu tun. Je größer der Glaube an mich, desto kleiner der Glaube an Christus. Da ist es schon Christus selbst, der mein Trugbild über mich zerreißen muss. Je länger und gerechter ich lebe, umso größer die Gefahr, mich selbst falsch einzuschätzen. Das Dunkle in mir trägt oft einen Heiligenschein, und das ist das Tückische daran, das mich blendet und in die Irre führt. Wer ich bin und was gut ist in mir, stelle ich nicht selber fest, sondern das Gesetz des Guten, das von Gott, von außerhalb auf mich einwirkt.

Es gibt Schwerverbrecher, die sich für Gutmenschen halten, zum Beispiel Roland saß fast sein ganzes Leben wegen Raubmord hinter Gittern. Er sieht sich eher als ein Robin Hood, er habe nur deren Tresor ausgeräumt, die ohnehin zuviel hatten, sagt er. Paulus lügt sich selbst nicht in die Tasche, versucht sich nicht schöner zu machen, als er wirklich ist. Er lässt die Wahrheit Gottes über sich zu, die seine eigene Wahrheit über sich zerreißt. Nicht ich und mein Bauchgefühl, sondern das Gesetz Gottes entscheidet, was gut ist und was nicht. Das ist schmerzhaft und tröstlich zugleich, weil es nie einfach ist, eine wirklich objektive Bewertung zu finden. Im Kern ist es immer die Frage, ob ich selber bestimme, was gut und böse ist, oder es von außen bestimmen lasse.

Christus enthüllt mir die Wahrheit über mich. Das ist manchmal erschreckend und manchmal auch sehr tröstlich, in jedem Fall aber nicht meine eigene Einschätzung. Wer ich wirklich bin, entscheidet nicht nur das Gesetz oder nur mein Gewissen, sondern die darin gelebte Auseinandersetzung. Diese Christenpflicht nimmt Paulus wahr und erkennt die damit verbundenen Schwierigkeiten. Es geht nicht nur um den schlichten Konflikt zwischen Kopf und Bauch, die Zerrissenheit ist tiefer. „Das Gute, das ich tun will, tu ich nicht“ ist ja nicht nur ein christliches oder religiöses Problem.

Jeder Mensch kämpft mit sich im Konflikt von Wort und Tat. Mit oder ohne Religion ist es immer schwierig, das Gute, das ich tun will, auch zu tun. Eigentlich will doch jeder das Gute. Die Frage ist nur, was genau das Gute ist. Selbst wenn man das genau weiß, beginnt der Konflikt erst, das Gute in die Tat umzusetzen. Menschen ändern ihre Sichtweisen mit der Zeit oder den Erfahrungen, die sie machen. Gottes Gesetz bleibt, fordert heraus, in der jeweils neuen Situation neue Verwendung zu finden. Das ist unsere entscheidende Lebensaufgabe. Christus will dabei nicht immun machen, sondern dass ich noch erschrecken kann über mich, den Sünder. Es geht nicht darum, künstliche Zerknirschung über nicht vollbrachte Sünden zu üben, sondern die Sünde real einzuschätzen, die mich

2. Gefangen nimmt

„Deshalb werde ich niemals das Gute tun können, so sehr ich mich auch darum bemühe.“

Es klingt wie gescheitert, ist aber nur eine nüchterne Feststellung. Paulus kommt, wie Luther, an den gleichen Punkt wie Luther auf der Suche nach Gerechtigkeit. Es ist einfach nur die Feststellung, dass es selbst mit größtem Einsatz nicht zu schaffen ist. Ich kann und werde nie so sein, wie ich sein sollte. Die Sünde oder das Böse ist von mir nicht kontrollierbar. Das ist keine Ausrede oder Duckmäuserei. Sowohl Paulus als auch Luther haben sich ernsthaft damit auseinandergesetzt. Das Böse hat eine unbezwingbare Macht. Sie nimmt den Menschen gefangen – nicht nur in den ganz offiziellen Sünden wie Mord oder Totschlag. Das Böse schleicht sich auch und gerade in die frömmsten Übungen ein, um dort seine finstere Macht auszuüben. Gerade im Bemühen, ein gesetzestreues Leben zu führen, schlummert die Gefahr. Im Gefühl, ein besonders Heiliger zu sein, steckt viel mehr Finsternis, als man glauben kann.

Jeder Christ ist und bleibt eine Behausung der Sünde, auch wenn er noch so fleißig betet, singt und predigt. Diese evangelische Erkenntnis tut richtig weh, wenn man sie tiefgreifend verinnerlicht. Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was mich vor Gott rechtfertigen könnte. Ich kann nicht, so sehr ich auch will. Ob ich will oder auch nicht, ich bin nicht in der Lage, vor Gott gerecht zu sein. „Wir sind allzumal Sünder“ formuliert Luther und mein eben damit diese finstere Macht, die lebenslänglich auf den Menschen einwirkt, immer im Konflikt, es eigentlich besser zu wissen. Die Sünde wohnt in mir, obwohl ich es besser weiß, auch in meinen frommen Aktivitäten. Es gibt keine religiöse Keimfreiheit, sondern immer nur Zwiespalt, Hin- und Hergerissensein.

Auch der frömmste Christ trägt in sich einen Zwang zum Unrecht, eine Regelmäßigkeit des Unrechts und eine Unentrinnbarkeit aus dem Unrecht. Es bleibt an einem kleben, so sehr man sich nach Freiheit sehnt. Es steht nirgends geschrieben, dass die Kirche sündlose Menschen macht. Christus hilft, die Sünde als Sünde zu erkennen und zu überstehen. Darin liegt auch die Grundlage, dass er

3. Befreit

Ich bin bereits befreit. So befinde ich mich in einem inneren Zwiespalt. Mit meinem Denken und Sehen folge ich zwar dem Gesetz Gottes, mit meinen Taten aber dem Gesetz der Sünde. Es gibt kein Christsein ohne diesen Konflikt – Auseinandersetzung zwischen Wort und Tat. Wer mehr verspricht, produziert Opium für’s Volk. Christsein ist immer Christsein in Zerrissenheit. Christus befreit nie von diesem inneren Konflikt, aber er befreit unseren Willen. Christus stellt unser Denken und Wollen in eine neue Abhängigkeit. Nicht meine Kraft und Größe entscheidet, sondern seine. Seine Größe gibt meinem Willen eine ganz andere Kraft. Mein Wille ist dann nicht mehr abhängig von meinem Körper, Charakter, Gedanken oder Gefühlen, nicht nur von meinen Fantasien oder Erinnerungen. Es ist ein neuer Wille, der nicht unterliegt. In Christus wird mein Wille in einen neuen Zusammenhang gestellt, in den Zusammenhang der rechtfertigenden Kraft. Das macht ihn stark, stärker als alles andere, was früher war, willensstark. In Christus lässt Gott meinen Willen zu einem freien Willen werden, der ja sagen kann zu einer helfenden Hand, die aus den Dunkelheiten des Lebens heraus hilft ins Licht der göttlichen Gegenwart.

Meine Zerrissenheit wird darin heilig, dass ich sie annehme, die helfende Hand, weil ich verstanden hab, dass ich Christsein gar nicht alleine kann. Ich muss mir dazu helfen lassen.

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